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Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes

Titel: Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Setz Clemens J.
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sammelten, wie auf einem Hohlspiegel. Seine Haut brannte. Eine Hand über seiner linken Gesichtshälfte, drehte er sich um und hob einen kleinen Stein auf, der sich griffbereit neben seine schmutzigen Hausschuhe gesellt hatte. Das Fenster mit dem Gesicht seiner Frau schloss sich gerade noch rechtzeitig, aber der Stein traf nicht einmal die Scheibe, sondern prallte mit einem trockenen Knacken von der Mauer ab. Dann suchte Daniel im Schutz der nach Farben geordneten Mülltonnen, halb kriechend, halb auf Knien, nach einem sehr viel größeren Stein.

Die Visitenkarten
    Martina Kellers Knie ragte aus dem Wasser, rund und nass und glänzend wie die Stirn eines Seelöwen. Sie räusperte sich, und das Badezimmer, eine mit Fliesen ausgekleidete Echokammer, räusperte sich mit ihr. Sie ließ den Kopf kurz untertauchen, ein wunderbares Gefühl, immer sauberer und sauberer zu werden, umgeben von schaumigem, wohlriechendem Badewasser, das jede noch so schwer erreichbare Stelle ihres Körpers sanft berührte. Und dazu die Musik aus dem CD-Player, die sie jeden Morgen spielte, um richtig wach zu werden: Music in Twelve Parts von Philip Glass. Viele Menschen hielten die hektische Monotonie und das ewige Auf und Ab seiner Dreiklänge nicht aus, aber für Martina war es die großartigste Musik, die sie kannte. Man wurde von nichts und niemandem gezwungen, genau hinzuhören oder sich in eine imaginäre Partitur zu versenken, nein, die Musik war wie eine schöne Landschaft vor dem Fenster – mal schaute man hin, mal schaute man weg, aber die Landschaft war trotzdem immer da.
    Martina tauchte ein letztes Mal unter, wischte sich die flüssig gewordenen Stirnfransen aus den Augen, dann stand sie auf und stieg aus der Wanne. Überall, wo sie ging, hinterließ sie nasse Fußspuren, die auf dem dunkelbraunen Parkett ihrer Wohnung wie zertretene Zellophanhüllen aussahen.
    Im Münzfach ihres Portemonnaies hatte sie vor ein paar Tagen ein kleines Loch entdeckt. Noch war es nicht groß genug, dass ganze Münzen hindurchpassten, aber sie würde sich wohl bald eine neue Geldtasche kaufen müssen. Wie jeden Morgen kontrollierte sie, ob alles an seinem Platz war. Die Bankomat-Karten, eins, zwei, in Ordnung, die Mastercard, eigentlich nur für Notfälle, aber trotzdem gut, dass sie da war, die Visitenkarten – sie strich mit dem Finger über die sanfte Erhebung, die der kleine Stoß Kärtchen bildete – eine Beule, merkwürdig …
    Sie nahm die Visitenkarten heraus und untersuchte sie. Die meisten schienen völlig normal, nur die erste im schmalen Stapel wies eine hässliche Verwerfung auf: An der Stelle, wo Martinas Name und die Bezeichnung ihrer Tätigkeit in der Firma gedruckt waren, wuchs eine Art Geschwür, grobkörnig, schwärzlich. Als sie es vorsichtig berührte, bekam sie Gänsehaut. Es fühlte sich an wie Bimsstein oder eine vertrocknete Koralle. Ihre Fingerspitzen mochten diese Art poröser Oberfläche nicht.
    Sie hob die Visitenkarte an ihre Nase, prüfte den Geruch. Nicht auffällig, vielleicht etwas säuerlich. Mit einem gleichgültigen Seufzen legte sie die beschädigte Karte neben das Telefon, die anderen steckte sie zurück ins Portemonnaie.
    Das Portemonnaie legte sie in ihre Handtasche, es war ihr liebstes Accessoire, eine echte Chanel 2.55, die sie sich nach ihrer ersten Beförderung gekauft hatte (zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Martina beim Bezahlen eines vierstelligen Betrags Gänsehaut gehabt). Sie hatte der Tasche sogar einen Namen gegeben, wasihr in gewissen Momenten peinlich war, aber trotzdem: Sie hieß Cat. Das kam daher, dass sie die Tasche, wenn sie sich hinsetzte, gerne auf ihren Schoß nahm und kraulte.
    Auf dem riesigen Firmenparkplatz blieb sie einige Zeit im Auto sitzen und kontrollierte noch einmal ganz genau alle Visitenkarten, denn es konnte gut sein, dass sie heute einige davon verteilen musste. Sie schienen alle normal, rochen auch nicht schlecht. Sie nahm sich dennoch vor, so bald wie möglich einen neuen Stapel zu bestellen. Anschließend kontrollierte sie die Oberfläche ihrer handzahmen Tasche. Auch sie war unauffällig.
    Der Fahrstuhl brachte sie in den dritten Stock. Ihre Arbeitskolleginnen begrüßten sie im Gang. Eine hatte, als sie an Martina vorbeiging, einen Hustenanfall, der irgendwie gestellt wirkte. Erst als sie einige Meter entfernt war, schüttelte Martina den Kopf und sagte sich, dass es mit Sicherheit nichts mit ihr zu tun hatte.
    Am späten Vormittag musste sie zu einem ersten

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