Die Lieben meiner Mutter
seiner Jugend den Künstlernamen Strom gab – ein Strom führt schließlich mehr Wasser als ein (J. S.) Bach –, hat seinen Anspruch auf unbedingte Ruhe seiner Frau vermutlich mehr als einmal deutlich gemacht. Manchmal, daran erinnert sich jedes seiner Kinder, konnte er jähzornig werden. Immer wieder versichert die Mutter ihrem abwesenden Mann ihre Bereitschaft, ihm die Kinder und auch sich selbst vom Leib zu halten.
Ich denke viel an dich. Hast du schon mit dem Intendanten gesprochen? Ich habe immer zutiefst die Angst, daß du dich im Tempo deines Vorwärtskommens doch irgendwie dadurch beeinflussen läßt, daß wir da sind. Daran darfst du jetzt gar nicht denken. Du darfst nur denken, was für dich notwendig und heilsam ist, das wird letzten Endes auch für uns gut sein. Und wenn du im kommenden Jahr keine Stelle bekommst, die dir genügt, so daß du auch uns noch mit bei dir haben willst, dann wird irgendein Weg gefunden – ich werde schon eine Arbeit finden.
Der Brief beschreibt die erste, die angepasste Phase ihrer Ehe. Sie beneidet die Gattin eines Kollegen von Heinrich, die ihr schreibt, wie herrlich sie mit ihrem Mannzusammenarbeiten kann.
Ich denke immer, daß ich viel zu wenig von diesem Metier verstehe und mich viel ernsthafter damit beschäftigen müßte. Du müßtest wirklich mehr Opernpartituren durchspielen mit mir, so daß ich eine viel genauere und tiefere Kenntnis der Werke bekomme. Ich komme mir immer wie ein sehr laienhafter und dummer Zuhörer im Theater vor und anderen gegenüber sehr überflüssig mit meinen Bemerkungen über solche Dinge.
In den ersten Ehejahren vermittelt sie ihrem Mann das Bild einer glücklichen, ihm ergebenen Ehefrau und Mutter. Von ihren radikalen Ansprüchen an die Liebe und ihrem späteren Aufruhr ist nicht viel zu spüren. Pünktlich hält sie den Vater über jeden Fortschritt des kleinen Rainer auf dem Laufenden, des Erstgeborenen. Sie schwärmt von der ausgeprägten Musikalität des Kindes, von seiner guten Laune, seinem unbändigen Temperament und seinen Einfällen – in tausend kleinen Szenen malt sie dem Vater aus, was er verpasst, weil er nicht bei ihr und seinem Söhnchen ist. Zwei Tage nach der Geburt ihres zweiten Kindes Hanna schreibt sie ihrem Mann, wie sehr sie ihn entbehrt; dass sie ihm nah sein, seinen Atem spüren, seine Haare und seinen Kopf fassen möchte.
Jeden Abend, wenn es beginnt, dunkel zu werden, wenn die Vögel leise und zart singen, und irgendwo genesende Frauen singen, dann überfällt es mich – Sehnsucht nach dir.
In dieser Zeit trägt sie mit Näharbeiten – nach ihren Worten das einzige Metier, auf das sie sich versteht – zum Auskommen der jungen Familie bei; sucht, angestoßenvon der Schwiegermutter, die sich mit voller Kraft in die von den Nazis ins Leben gerufenen Mütterinitiativen stürzt, Anschluss und Arbeit in der Mütterberatung , beim Frauenschaftsabend , bei der Volkswohlfahrt . Sie will dazugehören, aber irgendwie kommt sie nicht weiter, passt nicht hinein. Sie beklagt sich darüber, dass sie nicht lange genug in der Stadt ist, die damals ungefähr zehntausend Einwohner zählt und in der jeder jeden kennt; dass sie nicht die notwendigen Beziehungen hat. Nur in einem Satz aus diesen frühen Briefen blitzt etwas von der Unbedingtheit auf, mit der sie später ihre Liebe zu Andreas leben wird. In einer Bemerkung über eine Freundin namens R., die von ihrem Mann, der sie verlassen hat, nicht lassen will und kann: Das ist eine von den wenigen Frauen, die so lieben kann, dass sie daran zugrunde geht.
Aus dem Satz spricht kein Vorwurf, nicht einmal Irritation, eher so etwas wie Bewunderung.
Wenig später macht sie ihrem Mann einen seltsamen Vorschlag. Es ist ein Trennungsangebot in der Form einer Liebeserklärung, fast einer Unterwerfung.
Ich beschäftige mich immer mehr damit, ob es nicht besser sei, wenn ich im Sommer irgendwo hinginge – fort von dir. Ich habe sehr bestimmt das Gefühl, daß es dir fast wie eine Erlösung wäre, wenn ich dir jetzt sagte: wir trennen uns noch ein Jahr oder länger. Ich begreife das gut und glaube, ich habe auch Kräfte genug, um allein zu sein. Ich denke schon sehr lange an so etwas, und der Gedanke formt sich immer mehr, weil ich sehe, wie du derKunst gehörst, und wie sie dich braucht. Und ich will selbst, daß du ihr gehören sollst! Ebenso wie ich will, daß du uns nur gehören sollst, wenn du Sehnsucht nach mir hast. Und ich fühle sehr gut, daß das jetzt nicht so ist –
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