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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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zwischen den beiden Freunden auf ihre Kosten gehe. Würden sich die beiden Männer bei der täglichen Zusammenarbeit nicht am Ende gegen sie verbünden? Die Balance ihrer Gefühle in diesem Dreieck ist auf räumliche Entfernung zwischen ihrem Mann und ihrem Liebhaber angewiesen. Wie soll sie sich verhalten, wenn sie allen beiden bei der Premierenfeier begegnet? Sie beide mit gleicher Leidenschaft begrüßen? Beiden von den schulischen Fortschritten der Kinder erzählen? Wessen Arm nehmen, wenn die Feier vorbei ist und alle beschwipst nach Hause gehen? Keinesfalls würde sie den Vater ihrer Kinder in aller Öffentlichkeit kompromittieren. Aber könnte sie den Geliebten, der sie in Gegenwart seiner eifersüchtigen Gattin wahrscheinlich als eine Unbekannte behandeln würde, vielleicht doch in einer der nächsten Nächte sehen?
    Und Heinrich? Wie hat er das Verhältnis seiner Frau zu seinem besten Freund ertragen? Hat er die beiden zur Rede gestellt? Hat er seiner Frau die Berichte über ihre Begegnungen mit Andreas und ihre Klagen über dessen ewiges Zaudern um die Ohren geschlagen? Oder das Dreiecksverhältnis als etwas Unabänderliches hingenommen?
    Heinrichs Briefe an die Mutter geben auf diese Fragen keine Antwort. Sie sind optimistisch, hilfsbereit, in allerRegel unbeschwert und getragen von einer unerschütterlichen Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern. Über seine inneren Konflikte, über sein Leiden an den Affären seiner Frau, teilen sie nichts mit. Einmal lässt die Mutter ihren ersten Liebhaber Hans wissen, dass sie ihren Mann – blutend, mich gewähren lassend steht er neben mir – nie verlassen werde. Heinrich selber spricht in seinen Briefen nicht von solchen Schmerzen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er seine Frau zu einer Entscheidung gedrängt oder ihr damit gedroht hätte, sie zu verlassen. Hat er darauf verzichtet, weil er sich in einer Zwangslage sah und sich sagte, dass er seine Frau an ihren Eskapaden sowieso nicht hindern konnte – wer, wenn nicht sie sollte sich denn mitten im Krieg um die vier Kinder kümmern? Hat er die Untreue seiner Frau vielleicht gar nicht als Verrat empfunden? Sie als Überlebensmittel einer Frau toleriert, die immer am Rand ihrer Möglichkeiten lebte und sich durch ihre Amouren vor dem Absturz in die Depression zu retten suchte? Oder hat er – wieder anders – die Liebe seiner Frau zu seinem Freund, den er selber liebte, sogar als eine Bereicherung erlebt, als eine auch von ihm gewollte Liebe zu dritt?
    Zum Jahresende 1944, kurz nach ihrer Einberufung, verabreden sich die beiden Künstlerfreunde mit der Mutter und ihrer Freundin Linda zu einem gemeinsamen Wochenende auf dem Land. Mit einer Euphorie, wie er sie selten äußert, bedankt sich Andreas bei seiner Geliebten:
    Ichbewundere dich. Das klingt arg romantisch, doch ist es so. Daß diese schönen Tage möglich waren, danke ich nur dir. Denn nur bei und neben dir und Heinrich war dieser Frieden, dieses Einssein möglich. Ich habe das Gefühl, selten ist es uns gegeben, so frei und vorurteilslos zu unserem Selbst zu kommen. Das ist wirklich eine Erholung von allem Zwang. Und dein Brief. Ich kann nur sagen – er hat mich unendlich froh gemacht – welch anderes Gesicht an dir. Du bist weiter, viel weiter als wir alle. Ich sehe einen Weg und habe etwas Ruhe gefunden. Es wird schon werden.
    Der Brief endet mit einer rätselhaften Bitte: Bleibt Freunde – du und Linda – und Heinrich. Es ist wirklich schön so – und sinnvoll dazu – scheint mir.
    Was wollte Andreas damit sagen? Wollte der große Spielmacher, der wahrscheinlich auch an diesem Wochenende im Zentrum des weiblichen Begehrens stand, seiner Geliebten und ihrem Gatten tatsächlich den Rat geben, jedenfalls Freunde zu bleiben, auch für den Fall, dass sie sich trennten?
    Was war die Formel für die heikle Balance in dieser Gruppe, die trotz dramatischer Abschiede und Zerwürfnisse der Mutter mit Andreas und mit ihrer Freundin Linda bis zu ihrem Tod zusammenhielt? Gab es ein Vorbild dafür? Hatte das Chaos des Krieges die Protagonisten der Geschichte zu einem radikalen Experiment geführt, mit dem verglichen die Versuche der 68er, neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, wie halbherzige Trockenübungen wirken?
    Biszum Ende der Siebzigerjahre wäre mir Zeit geblieben, dem Vater solche Fragen zu stellen. Aber da ich die Briefe der Mutter erst nach seinem Tod erhielt und sie erst Jahrzehnte später las, gab es dazu keine Gelegenheit. Ich zweifle

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