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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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flauschiger Party-Sessel.
    Zögernd sah ich mich in unserem ehemaligen Wohnzimmer um. Die schöne Holztäfelung an den Wänden war tiefrot mit Ölfarbe zugemalt. Der vormals helle Dielenboden glänzte in schwarzem Lack, das hölzerne Treppengeländer, das zu unseren Kinderzimmern und zum Schlafzimmer der Mutter führte, war ebenfalls mit Farbe zugekleistert. Der eiserne Küchenherd, das Herz des Hauses und unseres Lebens nach dem Kriege, hatte der Bar weichen müssen.
    Die beiden Damen waren liebenswürdig, sie wirkten irgendwie gerührt, ja fast verlegen. Sie boten mir an, mich im Haus herumzuführen. Allerdings müsse ich die Unordnung entschuldigen, sie seien gerade erst aufgestanden. Die Furcht, womöglich auch den geschwungenen, von der Mutter bemalten Holzbaldachin über unseren Kinderbetten mit schwarzer oder roter Ölfarbe bemalt zu sehen, hielt mich ab, in den zweiten Stock zu gehen. Ich trank mein Glas aus und bat um die Rechnung. Ich würde ihnen gar nichts schulden, sagte die Dame, die mir die Tür geöffnet hatte, ich sei eingeladen – und ich solle wiederkommen.
    Am Nachmittag erfuhr ich von einem wohl achtzigjährigen Nachbarn, das Haus sei vor zehn Jahren von zwei Prostituierten aus Garmisch gemietet worden; ihre Gäste seien Offiziere aus der amerikanischen Armee, die im ehemaligen Headquarter in Garmisch-Partenkirchen inzwischen ein Zentrum für Terrorismusbekämpfung unterhielt. Die Damen seien ein dorfbekanntes Ärgernis, hätten sich aber nicht vertreiben lassen. Manchmalhätten sie mit »nackertem Hintern« den Garten umgegraben, in dem sie vermutlich Unkraut und verbotene Gewächse zogen.
    Ich lief durch die schmalen Straßen der Nachbarschaft. Alle Wege, auch die nur einspurig befahrbaren Gassen, waren asphaltiert. Ich ging vorbei an gepflegten grünen Vorgärten mit akkurat beschnittenen Hecken und frisch gestrichenen Holzzäunen, in denen keine Latte fehlte; vorbei an frisch geweißten Häusern mit tadellosen ziegelroten Dächern, vor deren Garagen neue Mittelklassewagen standen. Selbst die farbenprächtigen Heiligenbilder unter dem Dachfirst – meist die Jungfrau mit dem Kind – waren restauriert. In den Nachkriegsjahren hatte man vom Haus des Großvaters über die große Wiese bis zum anderen Ende des Tals schauen können. Inzwischen war der Blick durch mehrere Staffeln neu gebauter Häuser verstellt. Auch das Haus des Architekten, in dem Willi gewohnt hatte, war in einer Reihe von Nachbarhäusern unkenntlich geworden. Ich suchte nach dem breiten Balkon, auf dem ich mit Willi der Mutter nachspioniert hatte. Aber die drei Häuser, die infrage kamen, hatten alle ähnliche Balkone. Und falls Willis Haus dasjenige war, das ich wiederzuerkennen meinte, so war es ausgebaut und erweitert worden. Ich suchte auf den Klingelschildern nach einem Namen, der mir vielleicht bekannt war. Aber die Namen, die ich am Gartentor des Hauses las, hatten drei und mehr Silben, einer war polnischen, der andere tschechischen Ursprungs. Willi, da war ich sicher, hatteeinen zweisilbigen deutschen Nachnamen.
    Ich lief weiter. Die Straßen meiner Kindheit waren inzwischen von Pensionen und Gästehäusern zugestellt. »Gästehaus Marianne«, »Haus Alpenblick«, »Haus Bergheim« las ich über den Eingangstüren. An jedem zweiten oder dritten Privathaus waren Schilder mit der Aufschrift »Zimmer zu vermieten« angebracht. Jedes dieser Häuser, das wusste ich aus der Lektüre der Annoncen in der Lokalzeitung, war inzwischen ein paar Hunderttausend Euro wert. Zwar behielten die Bauern immer noch ihre Ställe, ihre Kühe, Schafe und Schweine, aber diese durch Jahrhunderte ausgeübten und vererbten Tätigkeiten waren offenbar zu Nebenbeschäftigungen geworden. Das ehemals arme und fremdenfeindliche Kuhdorf Grainau hatte sich dem Tourismus verschrieben und war dank dieser Anpassung zu bescheidenem Wohlstand gelangt. Allerdings zog der Ort, nach den Passanten zu urteilen, eher mittelständische Pensionäre an.
    Eine einzige Szene, die ich im Vorbeigehen sah, erinnerte mich an die Jahre meiner Kindheit. Eine junge Mutter saß in der Sonne in ihrem Garten auf der Bank. Im untersten Ast eines mächtigen Ahorns war eine Schaukel aufgehängt. Eines ihrer Kinder, ein Junge, brachte die Schaukel zum Schwingen, indem er die Beine mit aller Kraft nach vorne warf, seine kleine Schwester stand mit einer Blechbüchse in der Hand vor dem schaukelnden Bruder. Auf dem höchsten Punktdes Ausschwungs, wenn er mit den Füßen fast an den

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