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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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angelsächsischen Welt kamen. Künstler wie Ernst Jünger, Wilhelm Furtwängler, Carl Seemann, aber auch Gelehrte, Politiker, Bankiers, adlige Gäste aus aller Welt, darunter Prinzessinnen und Fürsten, erholten sich dort und versprachen sich von ihrem Aufenthalt, ihr Asthma, ihre Gicht und ihre Seelen in der Bergluft zu kurieren. Im Dritten Reich war das Gästehaus von den Nazis beschlagnahmt worden und diente deren Gattinnen und ihren prominenten Freunden aus Frankreich, Italien und Rumänien als Refugium. Bei Kriegsende wurde es von der amerikanischen Armee beschlagnahmt.
    Im Zuge einer Goodwill-Aktion luden die Amerikaner einheimische Kinder dorthin zu einer Weihnachtsfeier ein. Auch die Mutter und ihr Anhang fehlten nicht. So gutsie konnten, summten die Dorfkinder nie gehörte Weihnachtslieder wie »Jingle Bells« mit, die Eltern hielten sich ratlos den herumgereichten englischen Text vor die Augen. Die anderen Weihnachtslieder, die die Amerikaner anstimmten, waren uns Ton für Ton bekannt; es waren samt und sonders deutsche Lieder. Schüchtern erst, dann immer lauter überdröhnten die Grainauer Kinder die amerikanischen Offiziere mit dem deutschen Text.
    Die Verwirrung erreichte ihren Höhepunkt, als ein bärtiger Kerl mit Bommelmütze große braune Papptüten verteilte. Der Kerl sprach Englisch, hieß Santa Claus, obwohl er wie ein Weihnachtsmann aussah, und hatte offenbar das richtige Datum für sein Erscheinen am 6. Dezember verpasst. Da in den Tüten jedoch Köstlichkeiten wie Orangen, Mandarinen, Kakao und Schokolade steckten, fanden sich die Einheimischen mit dieser Zeitverschiebung ab und griffen zu.
    Dank seiner angelsächischen Kundschaft wurden das Gästehaus Hirth und auch die Villa bald den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben.
    Für die Mutter ist das Haus Hirth ein Refugium, ein Ort der Erholung und des geistigen Austauschs, in dem sie das Flirren und die mondäne Atmosphäre wiederfindet, die sie zuletzt in Königsberg genossen hat. Sie fiebert den Hauskonzerten und Vorträgen im Haus Hirth entgegen, zu denen nur Auserwählte geladen werden. Dort kann sie Gespräche führen, die sich nicht in der Frage nach dem Wohlergehen der Kinder erschöpfen.Einmal hört sie dort eine Gigue von Johann Sebastian Bach, gespielt von Carl Seemann, einem Freund aus Vorkriegszeiten. Wochenlang zehrt sie von diesem Erlebnis. Die Unbestechlichkeit, die Absolutheit und hinreißende Zärtlichkeit dieser Musik, schreibt sie an Andreas, habe sie vollkommen überwältigt. Sie habe wieder gespürt, wie verwandt sich alle wirklich großen Dinge seien. Wenn die Seele – kraft großer, starker Erfüllungen – ihre Schale verlasse, sich mitreißen und erhöhen lasse, dann sei der erreichte Zustand jedem anderen Glücksgefühl ähnlich, gleichviel, ob der Anlass dazu ein starkes künstlerisches Erlebnis sei oder ein ganz persönliches. Und so entstünden wohl diese seltsamen, fast unentwirrbaren Verbindungen, die ein liebendes Herz herstellt zwischen dem, den es liebt, und allem Schönen, Erhabenen dieser Erde, das ihm irgendwie faßbar ist.
    Der neue Liebhaber Max schreibt Briefe, wie jeder Sohn sie seiner Mutter, wenn sie denn dem Vater ihrer Kinder aus welchen Gründen immer untreu werden muss, nur wünschen kann. Wie alle Briefe, die im besetzten Deutschland hin- und hergehen, werden sie von der amerikanischen Zensurbehörde gelesen und abgestempelt.
    Der zweite Tag. Den ganzen Tag liege ich draußen auf dem Liegestuhl. Träumend. Schlafend. Ich habe nur einen Gedanken, der mich unablässig bewegt, du! Ich sehe dich dort, so nahe und so weit fort, wie durch einen Kontinent getrennt. Wie ist das nur möglich? Wie kann man sich so etwas auferlegen? Mir ist so, als wärenwir überfallen worden. Als hätten sich wildfremde Menschen unserer bemächtigt und uns unter ihren Willen gezwungen. Ich habe etwas Derartiges noch nicht erlebt. Wie konnten wir uns das nur antun? Ich bin heute morgen um 5 Uhr zur Ruhe gekommen und um 7 Uhr war ich schon wieder auf. Und immer war ich bei dir. Diesen Zustand habe ich noch nie kennengelernt. Ich spreche zu Hause nur das Notwendigste. Und ich sehe, daß meine Frau entsetzlich leidet. Um 8½ spätestens bin ich in meinem Zimmer und fast immer, wie schon vorher, um 9 Uhr im Bett. Ich bin krank und ich weiß, daß nur deine Gegenwart mich heilen kann. Ich sehne mich nach dir mit einer Leidenschaft, die mich vollkommen unterworfen hat. Die Liebe eines jungen Mannes ist wie ein Sturzbach. Ein

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