Die Lieben meiner Mutter
zugesehen, wie diese Häftlinge verbrannten. Sie schildert, wie ihr Vater nach der Entlassung aus der Haft mit grauer Haut und kahl geschorenem Kopf nach Hause kehrt.
Am Ende hat sich Max ein feines, scharfes Messer in die Brust gestoßen.
Es ist möglich, dass die Mutter von Max’ Tod gar nichts mitbekommen hat. Oder sie hat davon erfahren und sein Ende unter Tränen abgehakt. Fast jede Woche treffen in diesen Jahren Unheilsbotschaften ein, für die nur ein eng bemessenes Quantum von Trauer übrig ist.
18
Völlig unvorbereitet erhält die Mutter im Herbst 1946 einen Brief von Andreas, der sie fast umbringt.
Vieles ist zerbrochen, das meiste an Unverstand, Ungeduld, Eifersucht, das gilt auch zum Teil für dich.
Es ist die erste deutliche Absage von Andreas, eine Art Kündigung. Die Mutter antwortet ihm sofort.
Lieber – Ich denke darüber nach, was du wohl meinst. Daß mein Gefühl für dich nicht zerbrochen ist, weißt du. So kann es nur in deinem einen Sprung gegeben haben. Ist es so? Und das sagst du mir erst jetzt? Was für eine Art von Geduld er sich denn wünsche, fragt sie ihn, etwa eine, wie Linda sie habe, die ihr Gefühl – sehr utilitaristisch – je nach Bedarf da sein lassen und vergessen kann? Dazu bin ich nicht fähig. Distanzieren kann mich nur sehr, sehr viel Schmerz. Ob er zerbrechen kann, was nicht dich findet? Ich glaube kaum.
Sie versucht ihm ihre Ungeduld zu erklären, verlangt Verständnis für ihr Drängen. Entschuldigt es mich gar nicht, daß ich von den 5 Jahren, die ich dich nun kenne, 4 Jahre Nichtstun, gewartet habe, meist umsonst – immer auf dich? Ich hoffte auf die Gefahren des Krieges, ich hoffte auf sein Ende, ich hoffte auf die räumliche Nähe mit dir, der du in München warst – immer wieder, in jeder Lebenslage suchte sich das Herz eineZukunft, einen Sinn für dein Leben. Und wenn es keinen gab, erfand es sich einen.
Sie schließt den Brief mit einem für sie ganz untypischen Rückzug. Er solle sich Zeit und Gedanken nehmen für sein ruheloses Herz und gesund bleiben. Mit ihr selbst habe es keine Eile – er möge ihr einmal antworten, wenn er Zeit dafür finde. Es wartet weiter – deine Ungeduldige.
Andreas nimmt das Angebot, sich Zeit zu nehmen, wieder einmal wörtlich. Vergeblich wartet die Mutter auf eine Antwort. Da Andreas zur Wiederaufnahme einer Premiere noch einmal nach München kommt, nimmt sie die Gelegenheit wahr, ihn zu sehen. Obwohl sie wieder Unterleibsbeschwerden hat, setzt sie sich in den Zug und überlässt die Kinder ihrer Haushaltshilfe Tilla. So treffen denn die Protagonisten der »Kommune«, die in den Träumen der beiden Freundinnen das Kriegsende eigentlich an der französischen Riviera erleben sollten, in München zusammen.
Die Begegnung wird zum Albtraum. Die Mutter ist in Heinrichs kleiner Münchner Wohnung abgestiegen und erwartet dort Andreas, den sie ein Jahr lang nicht gesehen hat. Aber statt des Geliebten erscheint Linda in der Wohnung, um ihr eine Botschaft von Andreas zu überbringen. Er hat beschlossen – was seinem Brief nicht zu entnehmen war –, mit der Mutter Schluss zu machen, er will sie jetzt nicht einmal mehr sehen. Und zurÜberbringerin dieser Botschaft hat er ausgerechnet ihre Busenfreundin erkoren
Linda bricht ihrerseits in Schluchzen aus, als sie ihren Auftrag erledigt hat, die beiden Frauen fallen sich in die Arme. So weint denn schließlich alles , schreibt die Mutter an Tilla, die sie in ihrer Verzweiflung zur Vertrauten macht. Ausgerechnet von ihrer Freundin die Beendigung ihres Verhältnisses mit Andreas zu erfahren, sei viel unbarmherziger, als wenn sie dies von ihm selbst gehört hätte.
Vergeblich sucht sie Halt bei Linda. Sie kann den Verdacht nicht unterdrücken, dass ihre Freundin die Nutznießerin dieser Trennung ist und Andreas’ Worte irgendwie entstellt und verschärft hat. Sie sucht sich ihre Trauer durch die Empörung über die Art und Weise der Trennung vom Leib zu halten. Wenn Andreas ihr seine Entscheidung wenigstens selber ins Gesicht gesagt hätte! Aber war er in der Liebe nicht immer ein Feigling gewesen?
Heinrich übernimmt es, seine in Tränen aufgelöste Frau ins Krankenhaus nach Garmisch zu begleiten. Die Fahrt dorthin, berichtet sie Tilla, ist endlos, immer wieder hält der Zug. In der Klinik wird ihr ein Dreibettzimmer zugewiesen, vergeblich versucht Heinrich, ihr ein Einzelzimmer zu verschaffen. Nachts liegt sie wach, findet trotz Schlaftabletten keine Ruhe. In ihrem wunden Zustand
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