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Die Lieben meiner Mutter

Die Lieben meiner Mutter

Titel: Die Lieben meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schneider
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sind ihr die beiden anderen Patientinnen, die sie auf Bayrisch begrüßt haben, unerträglich. Die eine schnarcht, die andere geht ständig auf den Topf. DerZwang, an den primitivsten Lebensäußerungen dieser fremden Menschen teilnehmen zu müssen, stürzt sie noch tiefer in Verzweiflung. In ihrem Überwachsein kreisen ihre Gedanken um Andreas und den brutalen Abschied. In ihrem Kopf formen sich Anklagen, Hilferufe, Zornesausbrüche, einiges kritzelt sie auf Papier. Niemand wird dir einen Vorwurf daraus machen, daß du nicht lieben kannst. … Ein echtes Gefühl muß man leben lassen, man kann es nicht an einem Tag wünschen und am nächsten Tag als störend empfinden. … Dann entschließe dich zu völligem Alleinsein.
    In den Wochen und Monaten nach ihrem Besuch in München nimmt die Mutter es auf sich, das bisher Undenkbare und Unfühlbare wahr zu machen. Sie beginnt damit, sich von Andreas zu lösen.
    Sie zwingt sich, nicht mehr an ihn zu denken, nicht mit ihm zu sprechen und vor allem, ihm nicht mehr zu schreiben. Tagsüber verteidigt sie sich gegen ihre Leidenschaft; versucht, das Gebirge ihrer Hoffnungen abzubauen, sich über die Realität ihrer Liebe klar zu werden. Ihre Enttäuschung verwandelt sich in Zorn über ihre Enttäuschung, über das Getäuscht-worden-Sein durch den Geliebten, am Ende auch über das ambivalente Spiel ihrer Freundin Linda. In ihren nächtlichen Träumen jedoch und ihren Briefentwürfen bleibt sie an Andreas gebunden.
    Nach Andreas’ Rückzug in München hat Linda, als wäre nichts gewesen, für das Wochenende ihren Besuch in Grainau angekündigt. Sie versuche, schreibt sie ganzunbefangen, Andreas auf diese Reise mitzuschleifen. Leider sei der trotz aller Überredungskünste nicht zu bewegen, sie zu begleiten.
    Die Mutter ist empört. Erkennt Linda denn gar nicht, beschwert sie sich bei Andreas, welche Entwürdigung in dieser Formulierung liegt? Ist ihr über ihrem neuen Liebesglück die Fähigkeit abhandengekommen, sich in die Lage ihrer verlassenen Freundin zu versetzen? Und Andreas selbst? Was kann er denn noch gegen sie haben, nachdem er ihr auf so rüde Weise den Abschied gegeben und ihr danach weder einen Anruf noch einen Brief gegönnt hat? Will er sie nun auch noch von Linda abschneiden? Hat sie nicht ein Recht darauf, als Freundin am Glück der beiden teilzunehmen – denn wie viel Not hat sie mit ihnen schon geteilt?!
    Es war immer ein Dreieck, wenn auch ich selbst meist unsichtbar blieb. Ich trug und trage mit an Lindas Bindung zu dir. Es geht nicht, daß sie und ich in einem nahen, liebevollen Verhältnis zueinander stehen, das ja über dich geht – und du lehnst mich ab. Linda liebt dich – sie liebt und braucht auch mich. Deine Ablehnung macht sie unsicher, quält sie, sie greift zum billigsten diplomatischen Mittel, zum leeren belanglosen Wort, und zwingt mich damit zur Abwehr. Wissen wir nicht alle viel zuviel voneinander, um immer wieder den einen an den anderen zu verraten?
    Warum das Urteil nicht aussprechen, zu dem sie sich durchgerungen hat:
    Duwillst nur das Echo, du willst nicht die Gegenkraft. Du willst nicht die ehrliche Freundschaft, die im Gegenüber liegt. Dabei habe sie gedacht, sie könnte ihm dieser Freund werden – nun da die Leidenschaft besiegt und das Nahe-Sein geblieben sei.
    Glaubst du, soviel geweinte Gedanken um ein Menschenherz ließen dies vergessen? – Wie du willst! Wenn du es nicht erträgst, daß ich mich rettete, dann wollen wir uns nicht mehr sehen. Weißt du eigentlich, daß ich zugrunde gegangen wäre an der Bindung zu dir – ich war nicht umsonst im letzten Jahr vier Monate krank, weil meine liebenden Kräfte ins Nichts gestoßen waren – , wenn mir nicht durch eines Menschen zärtliche Hände die Gegenkraft erwachsen wäre, die mich auffing? Solltest du nicht froh darüber sein, daß dir die Belastung eines zerstörten Lebens erspart blieb? Und solltest du nicht jemandem dankbar sein, der es mir ermöglicht hat, jenen Abstand zu dir zu finden, den du dir jahrelang von mir gewünscht hast? Und ich hoffte, er könnte dir zum Freund werden. Was tust du aber? Schmeißt Tor und Türen zu – ohne Stellungnahme. Weißt du, was ich manchmal mit dir tun möchte? Am liebsten hätte ich es an deinem Geburtstag getan, den ich nicht vergaß, sondern an dem ich – traditionsgemäß – deiner im Traum gedachte: Ohrfeigen möchte ich dich, rechts und links – den Herrn Operndirektor in seinem Papststuhl, der die, die ihn liebhaben, mit

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