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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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davon für mich haben dürfte.
    Miss Chudley wurde mir von meinem Freund, Doktor Archibald Compton vermacht, als er vor einem Jahr nach Kanada auswanderte. Sie wurde mir zusammen mit einigen hundert weniger wichtigen Patienten, ein paar verrosteten Spritzen und einer Waage, die Archie nicht mehr brauchte, überreicht. Wie Archie seinen Weg in das Haus der Chudley gefunden hat, habe ich nie herausgefunden. Ich war sicher, daß er in Kanada keine ähnlichen Patienten wiederfinden würde. Alles, was zu Miss Chudley gehörte, war so typisch englisch wie die runde, rote Pillenschachtel, die Nieren zum Frühstück und die morgendliche Tasse Tee.
    Miss Chudley war eine Marke für sich. Sie hatte sich die fast ausgestorbene Rolle der »großen, alten, exzentrischen Dame« vorgenommen und spielte sie vollendet.
    Abgesehen von dem leichenwagenähnlichen Auto, in das sie sich täglich zu ihrer unvermeidlichen Ausfahrt von Withers, dem Chauffeur, und Gregg, die seit ewigen Zeiten als Zofe und nun als
    Gesellschafterin bei ihr war, hineinhelfen ließ, war sie stolz auf die Tatsache, daß sie während ihres achtzigjährigen Lebenswandels niemals geflucht oder den Namen des Herrn ihres Gottes mißbraucht, niemals durch das Telefon gesprochen und niemals Geld berührt hatte; sie hatte eine sehr schlechte Meinung von jenen, die solches taten. Da sie in der, wie sie es nannte, ungeschliffenen Welt leben mußte, die sich nach den Massenmorden der beiden Weltkriege gebildet hatte, klammerte sie sich, soweit sie dazu in der Lage war, an die alte Ordnung. Sie weigerte sich, einen Lebensstandard anzuerkennen, bei dem der Nachdruck auf >Arbeitsersparnis<, >vorgefertigt< und >Do-it-yourself< lag, und schuf sich ihr eigenes Reich, in dem es noch solch wunderliche Dinge wie Stiefelknöpfer, Onduliereisen und ähnliches gab.
    In gewisser Weise bewunderte ich sie, daß sie sich nicht wie die meisten Großmütter, die ich kannte, der Schmach der Dauerwellen, der Seelenlosigkeit der Druckknöpfe und der Faulheit der Trockenschleuder unterwarf. Das soll natürlich nicht heißen, daß Miss Chudley eine Großmutter war. Sie hätte nicht etwa wegen Mangel an Gelegenheit nicht geheiratet, erzählte sie mir, sondern weil sie diesen Zustand für vulgär hielt, und hatte nun eine Unmenge von Verwandten überlebt, die ihr durch die Kriegsereignisse und den unerklärlichen Vorgang der natürlichen Auswahl vorangegangen waren.
    Miss Chudley hatte die Konstitution eines Ochsen. Abgesehen von leichten Beschwerden der verschiedenen Organe, die durch das Alter hervorgerufen wurden, fehlte ihr nichts, und meine regelmäßigen Besuche geschahen nur routinemäßig. Aber sie hätte mir nicht dankbarer sein können, wenn ich sie von einem grausamen Tod gerettet oder von einem lebenslänglichen Leiden erlöst hätte.
    Für die geringste Bemühung, für einige Worte der Aufmunterung segnete sie mich. Aber das war nicht alles. Jedesmal, wenn ich sie besuchte, erklärte mir Miss Chudley ganz klar und deutlich, daß ich in ihrem Testament berücksichtigt sei. Sie besaß, wie sie mir erzählte, ein Schloß in Schottland, ein Dorf in Cornwall und zahllose Besitzungen in London, von deren Einkommen zahlreiche kaum berührte Konten immer mehr schwollen. Sie hatte keine Freunde mehr, da sie alle überlebt hatte, sie machte sich auch nichts aus Hunden oder Katzen und liebte, wie sie sagte, nur Withers, Gregg und mich. Sie wiederholte immer wieder, daß wir drei, wenn sie einmal dahingegangen sei, keinen Grund zur Klage haben würden.
    Es war das, was den Ärzten, die für die Sorge älterer Patienten verantwortlich waren, immer wieder passierte. In meiner kurzen Laufbahn hatte ich schon einige Erbstücke angesammelt: einen scheußlich geschnitzten Spiegel, den ich törichterweise in einem unbedachten Augenblick bewundert hatte, das Gemälde einer strahlenden, schlecht proportionierten Madonna (Mr. Baker wußte, wie sehr ich mich für Kunst interessierte, meinte Mrs. Baker), und eine silberne Zuckerdose, die wir täglich im Gebrauch hatten und unehrerbietigerweise mit dem Namen ihrer Spenderin, einer Emily Wilks (Darmkrebs), benannten.
    Ich gab nicht viel auf Miss Chudleys Versicherungen bezüglich der Erbschaft, sondern betrachtete sie nur als törichtes Geschwätz, das ich mir als Hausarzt gelegentlich anhören mußte. Ich hatte es nicht einmal Sylvia gegenüber erwähnt. Für Miss Chudley war ich ein Heiliger, während mich Mrs. MacConnal als ungebildeten, herzlosen,

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