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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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als Sex, dann war es >Gesundheit<. Bereits am ersten Tag ihrer Anwesenheit, die man damals noch als verlängerten Besuch bezeichnete, hatte sie damit begonnen, Kissen, Federbetten, Teppich, Stühle und Vorhänge aus ihrem Zimmer zu entfernen. Wir hatten sie in einem Haufen auf dem Flur gefunden.
    »Allergie«, erklärte Caroline. »Allergisch gegenüber Federn, Haushaltsstaub und zerfallenden Stoffen.«
    »Einen Augenblick«, wandte Sylvia ein. »Die Vorhänge in diesem Gästezimmer sind erst ein Jahr alt, die können unmöglich schon zerfallen.«
    »Makroskopisch nicht«, entgegnete Caroline, »jedoch lösen sich, dem bloßen Auge unerkennbar, winzige Partikel und reizen die Nasenschleimhaut. Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich leere Bretter und das Minimum an Einrichtung vorziehen.«
    »Da wäre die Garage das richtige«, knurrte Sylvia. Dann waren da ihre Pillen. Im Laufe eines jeden Tages mußte sie zwanzig oder mehr davon geschluckt haben. Deren Wirkung oder angebliche Wirkung war verschieden. Abgesehen von den Vitaminpillen, die sie vor und nach jeder Mahlzeit nahm, gab es Pillen, ohne die sie nicht schlafen konnte, Pillen, ohne die sie sich nicht aus ihrer morgendlichen Trägheit herausreißen konnte, Pillen, um ihre Nerven zu beruhigen, Pillen, um sie anzupeitschen, Pillen, um die Darmfunktion anzuregen, Pillen, um diese von allzu reichlicher Funktion abzuhalten, Pillen, um ihr Appetit zu machen, Pillen, um ihren Appetit zu dämpfen, Schlankheitspillen und Körperaufbau-Pillen, Pillen, um ihr Selbstvertrauen zu heben, und Pillen, um sie für ihre Umgebung erträglich zu machen. Sie hatte eine Pille für alles - und für alles war eine Pille da.
    Ich weiß nicht, wie sie sich merkte, welche für was einzunehmen war, da sie so viele davon hatte.
    »Was meinst du wohl, was mit dir passieren würde, wenn du den ganzen Kram fortwirfst?« fragte ich sie eines Tages.
    »Oh, das könnte ich nicht«, sagte sie. »Bei uns zu Hause nehmen wir alle Pillen.«
    Aber die Pillen waren es nicht allein. Ihre sonderbaren Speisewünsche brachten Sylvia langsam zur Verzweiflung. Abgesehen von ihrer abführenden Getreidekost, dem Weizen-Vollkornbrot und dem Joghurt, das sie aus der Flasche schluckte, zählte sie ihre Kalorieneinnahme mit einer Art Rechentabelle, die sie mit sich herumtrug, und wenn ihre Kalkulationen ergaben, daß sie ihr Limit für den Tag erreicht hatte, hörte sie auf. Nichts konnte sie dann veranlassen, das Steak, die Bratkartoffeln oder das Fruchtgelee, das Sylvia zum Dinner bereitet hatte, zu verzehren. Sie saß dann an einem Salatblatt kauend und vollkommen unbeeindruckt von Sylvias ärgerlichen Blicken am Tisch.
    Aber auch das war noch nicht alles. Das Interesse am Zustand ihres eigenen Körpers, unter besonderer Berücksichtigung der Nahrungsaufnahme, genügte ihr nicht, sie wandte ihre Aufmerksamkeit auch den Kindern und mir zu.
    Sylvia war dabei, mich langsam zu ermorden, verkündete Caroline eines Tages beim Dinner. Das einzig Verzeihliche daran sei, fuhr Caroline fort, daß das Verbrechen in Unwissenheit begangen wurde. Es geschähe nicht vorsätzlich.
    Sylvia hatte mich über den Tisch hinweg angeblickt. »Ich finde, er sieht noch ganz gut aus«, sagte sie zu Caroline. »Er ißt wie ein Pferd, schläft wie ein Klotz...«
    »Ah!« unterbrach Caroline sie. »Das ist es ja gerade. Er ist weder ein Pferd noch ein Klotz, sondern ein Mann mittleren Alters.«
    »He, einen Augenblick«, unterbrach ich sie jetzt, »seit wann gehört siebenunddreißig zum mittleren Alter?«
    Aber Caroline fuhr fort: »... und muß auf seine Galle achten.« Sie hob einen Finger gegen Sylvia. »Kochst du deine Speisen in Leinöl, statt in tierischen oder pflanzlichen Derivaten? Nein!« Sie beantwortete ihre eigene Frage, und der zweite Finger hob sich. »Beobachtest du, was er sonst an Fetten zu sich nimmt? Schokolade, Butter, Käse? Nein!«
    Ein dritter Finger hob sich, aber Sylvia hatte genug von der Anklage.
    »Caroline«, stieß sie hervor, und ich hatte sie kaum jemals so wütend gesehen. »Zufällig ist es mein Ehemann und meine Verantwortung. Ich würde mich freuen, wenn du dich um deine eigenen Sachen kümmern und mit deinem >Dinner< fortfahren wolltest.«
    Caroline hatte einen Teller mit rohen Möhren vor sich stehen. Sie war nicht im geringsten beleidigt. »Die medizinische Wissenschaft hat eindeutig bewiesen«, fuhr sie unerschütterlich fort, aber in diesem Augenblick klingelte das Telefon und brachte die

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