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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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nicht drum gebeten, sich die Füße anzusehen.«
    »Aber ja.«
    »Ich niemals. Sie fragten mich, warum ich das Baby nicht gebracht habe, und ich sagte...«
    »Schon gut, schon gut.« Ich nahm meinen Rezeptblock heraus und schrieb etwas für die Augen des Babys auf, da ich genau wußte, daß es dem armen Kind bald schlimmer gehen würde als jetzt, wenn ich darauf wartete, daß sie in die Sprechstunde kam.
    »Dies sind Tropfen«, erklärte ich. »Viermal am Tag einen Tropfen in jedes Auge. Und«, fuhr ich fort, obwohl ich genau wußte, daß ich nur meinen Atem verschwendete, »Sie müssen vorsichtig sein. Dieser Zustand ist sehr ansteckend.«
    »Ich weiß«, bestätigte sie mit überlegenem Ausdruck.
    »Wieso?«
    »Brenda!« schrie Mrs. MacConnal, worauf eine Fünfjährige hereinkam, die nur ein Hemdchen anhatte, das kaum den Nabel bedeckte. Ihr Gesicht war mit Schokolade verschmiert.
    »Zeig dem Doktor deine Augen!« befahl Mrs. MacConnal triumphierend.
    Ich schrieb ein zweites Rezept aus. »Halten Sie die Flaschen auseinander«, sagte ich ohne Überzeugung. Bevor ich unterschrieb, fragte ich noch: »Wie geht es dem anderen Kind?«
    »Alfie? Er ist hier.«
    »Warum ist er nicht in der Schule?«
    Mrs. MacConnal blickte mich verwundert an. »Wegen seiner Augen!«
    Es war Zeit, daß ich ging, ich hatte noch eine lange Besuchsliste zu erledigen, aber an der Tür rief mich Mrs. MacConnal zurück. »He, wie ist das mit meiner Binde?«
    »Kommen Sie in die Sprechstunde, wenn Sie sich die Füße gewaschen haben, dann werden wir weitersehen.«
    »Wie kann ich, wenn ich nicht gehen kann?«
    »Sie können, wenn Sie wollen.«
    »Ich werde Sie verklagen. Ich zahle meinen Beitrag genauso wie Mrs. Wallace, zu der Sie auch nicht gehen, wenn ihr Charlie ’nen Splitter in der Hand...«
    »Mrs. MacConnal«, unterbrach ich sie, »ich bin die halbe Nacht hier gewesen, und ich habe nicht die Absicht, hier auch noch den halben Vormittag zu verbringen. Wenn Sie mich wegen irgend etwas anderem konsultieren möchten, können Sie in meine Sprechstunde kommen, und wenn Sie nicht versuchen werden, ein bißchen verständnisvoller zu sein, werde ich Ihre ganze Gesellschaft von meiner Liste streichen.«
    Ich schloß die Wohnungstür und wartete auf den Strom von Verwünschungen, der mich gewöhnlich die Treppe hinunter begleitete. Ich brauchte nicht lange zu warten.
    »Der wird auch immer überheblicher, und früher hat er sich die Füße abgelaufen. Zu hochnäsig, um sich Füße anzusehen. >Waschen Sie Ihre Füße< sagte er und >kommen Sie in meine Sprechstunde...< oh, halt deine Klappe, Alfie, sonst kriegst du eine hinter die Ohren... wo steckt dein verdammter Vater...?«
    Im vierten Stock blickte mich eine nette kleine Frau, die das Messingschild an ihrer Tür putzte, mitleidig an. »Es wird schlimmer und schlimmer mit ihr«, seufzte sie. »Eine Schande ist sie. Sie und die Kinder. Eine Schande.«
    So ging es mir also - mal ein Heiliger, mal ein Sünder. Nach Sylvias Ansicht war ich ein Chamäleon.
    Manchmal, wenn wir beim Dinner saßen oder anschließend noch zusammen plauderten, pflegte Sylvia zu sagen: »Ich glaube, du bist heute bei den Thorpes gewesen?«
    »Ja, ich habe den Major besucht«, gab ich überrascht zu. »Woher weißt du das?«
    »Ich dachte es mir, weil du dauernd >Erstklassig! Erstklassig^ sagst. Das stammt doch von Major Thorpe.«
    Genauso war es nach einer Sitzung mit Mrs. Clatworthy während der Sprechstunde. Mrs. Clatworthy hatte mit ihrem Kehlkopf zu tun, was ihr den Vorwand gab, sich nur flüsternd zu unterhalten. Wenn ich mit ihr einige Zeit zusammengesessen hatte, pflegte der nächste Patient unweigerlich zu sagen: »Es tut mir leid, Doktor, ich weiß nicht, ob es an meinen Ohren liegt, aber ich fürchte, ich verstehe nicht, was Sie sagen.«
    Nach Mr. Dawes Besuch lachte ich für den Rest des Tages gluckernd wie ein Abflußrohr; und wenn Basil Partridge von dem Bauernhof bei mir gewesen war, lief ich - ganz im Gegensatz zu meiner sonstigen Art - herum, klopfte allen auf die Schulter und nannte sie »alter Junge«.
    Genauso ging es mir mit ihren Berufen, anscheinend bin ich fremden Einflüssen gegenüber sehr empfänglich.
    Es war nicht ungewöhnlich für mich, daß ich mir an manchem Abend überlegte, ob es mir nicht besser im Leben ergangen wäre, wenn ich mich, statt Medizin zu studieren, entschlossen hätte, ein Windhundtrainer, ein Zinnkannenhersteller oder ein Filmproduzent zu werden. Das war dann jeweils eine

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