Die lieben Patienten!
Nachricht, daß Mrs. Barnes ihr Baby auf den Fußboden der Küche hatte fallen lassen. Daher erfuhr ich niemals, was die medizinische Wissenschaft so eindeutig bewiesen hatte, und diese Unkenntnis könnte meine Zukunft bedrohen.
Was die Kinder anbetraf, so prophezeite Caroline, daß sie bei der Diät, mit der wir sie ernährten, mit achtzehn Jahren zahnlose, träge, mißgebildete Dummköpfe sein würden. Nachdem wir gehört hatten, welche Ernährung sie für die Kinder vorschlug und wie, wann, auf was und wo sie schlafen müßten, wie häufig und mit was sie ihre Zähne putzen sollten, entschlossen wir uns, das mögliche schwarze Schicksal in Kauf zu nehmen.
Um fünf Uhr dreißig ging ich, während Mrs. Passmore sich mit ihrem Korsett abmühte, für einen Augenblick aus der Sprechstunde hinaus, um nachzusehen, ob Sylvia zurückgekommen war. Ich fand sie im Badezimmer vor der Wanne knien, in der an jeder Seite ein Zwilling saß, und blieb eine Weile in der Tür stehen, um sie liebevoll zu betrachten, ohne daß sie mich bemerkte.
Sylvia, noch in der Ausgehkleidung, über die sie eine weiße Schürze gebunden hatte, sah noch immer wie das Mannequin aus, das sie vor unserer Ehe gewesen war, aber das Glück und die Häuslichkeit hatten sie erst richtig erblühen lassen. Nach Haute-Couture-Maß durfte man sie jedoch nicht mehr beurteilen. Einige Strähnen ihres Haares hatten sich aus ihrer eleganten Frisur gelöst, sie hatte die Ärmel ihrer seidenen Bluse aufgerollt und hatte Seifenspritzer im Gesicht; außerdem - eine unverzeihliche Sünde -lächelte sie.
So stand ich da und beobachtete meine drei Lieben, wohl wissend, daß dies die andere Seite der Münze war, die ich mit der Arztpraxis in Kauf nehmen mußte. Es dürfte nicht sein, daß ich morgens das Haus verlassen mußte, bevor meine Kinder aufgestanden waren, und erst zu einer Zeit zurückkehren konnte, zu der ich nur noch ihre schlafenden Gesichter küssen durfte. Mit meiner Frau konnte ich in den gelegentlichen Pausen tagsüber immer wieder kurz zusammen sein und sie umarmen, und wir brauchten nicht, wie es bei so vielen Paaren üblich ist, unsere Bekanntschaft jeden Abend nach dem Dinner zu erneuern. Wir waren in einer Weise aufeinander angewiesen, die mir manchmal ein wenig Sorge machte, aber es war eine wunderbare Verbundenheit, die ich um alle Schätze der Welt nicht eingetauscht hätte. Wir waren es so sehr gewohnt, zusammen zu sein, daß ich Sylvia, wenn sie einmal einen Tag fort war, schrecklich vermißte und sie mir als Opfer von zahllosen, fürchterlichen Verkehrsunfällen vorstellte; und wenn sich einmal einer meiner Besuche zu lange ausdehnte, fand ich Sylvia bei meiner Heimkehr ganz sicher schon ängstlich aus dem Fenster nach mir ausschauen. Wir waren es so sehr gewohnt, uns alles zu erzählen, daß wir Gespräche mit anderen Leuten vermieden, die uns nicht halb so gut verstanden; und es überraschte uns nicht mehr, wenn einer einen Gedanken aussprach, den der andere im gleichen Augenblick gedacht hatte. Wir kannten einander besser, als viele andere Ehepaare sich jemals bemühten, aber wir entdeckten aneinander doch immer noch bessere und liebenswertere Eigenschaften. Peter war es, der mich zuerst sah. »Dies is ein Unterseeboot«, lispelte er und zeigte mir die Seife. »Penny is ein Slachtsiff.«
»Keine Sprechstunde mehr?« fragte Sylvia.
»Ich wollte nur sehen, ob du zurück bist.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wen ich in der Pontstraße getroffen habe...«
»Ich komme in ’ner Minute wieder«, unterbrach ich sie, »dann kannst du es mir erzählen. Ich habe Mrs. Passmore nur eben im Kampf mit ihrem Korsett allein gelassen.«
6. KAPITEL
»Doktor, Sie sind ein Engel!« Miss Chudley, die mit Morgenhaube und rosa wollener Bettjacke im Bett saß, sagte es, als ob das wirklich ihre Meinung sei.
Miss Chudley war eine Erbschaft.
Ich hatte oft mit Neid auf diese großen, altmodischen, von einem Chauffeur gesteuerten Rolls-Royces geblickt, die man von Zeit zu Zeit vorüberrauschen sah und in deren Rücksitzen verschiedene alte Ladys, in Kissen gebettet, gebieterische Anordnungen durch das Sprachrohr riefen.
Immer, wenn ich an einer solchen Equipage vorbeikam, überlegte ich mir, wie man an eine solche offensichtlich wohlhabende, offensichtlich private, offensichtlich dauernder Behandlung bedürftige Patientin herankommen könnte. Ich rechnete niemals damit, daß der Tag kommen würde, an dem ich, ein gewöhnlicher Vorortsarzt, eine
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