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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Revolution in Galerien ausgestellt. Nach 1917 verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt mit der Illustration von Propagandamaterial für die Bolschewiken. Babuschka erzählte ihrer Enkelin, dass sie aus ihrem brennenden Haus nichts mehr habe retten können. »Aber mach dir keine Gedanken, Taneschka, ich kann ja wieder neue Bilder malen.«
    Tatiana erwiderte: »Vielleicht könntest du mir ein Bild von einem Apfelkuchen malen? Es ist nämlich jetzt die Jahreszeit für Apfelkuchen.«
    Am folgenden Abend, am 7. September, tauchte kurz vor dem Abendessen plötzlich Marina auf. Marinas Vater war in einer der Schlachten um Izhorsk gefallen. Die Metanows hatten Onkel Boris sehr geliebt und sein Tod war ein entsetzlicher Schlag, zumal sie den Verlust von Pascha noch nicht verkraftet hatten. Der Zustand von Tante Rita hatte sich weiter verschlechtert und sie lag nach wie vor im Krankenhaus. Papa blickte fragend auf Marinas Koffer. Tatiana sagte: »Komm, Marinka, ich helfe dir auspacken!« »Hast du vor, hier einzuziehen?« Papas Stimme klang überrascht.
    »Papa, ihr Vater ist tot und deine Schwester liegt im Sterben! Marina kann doch wohl eine Zeit lang bei uns bleiben, oder nicht?«
    »Tania, hast du Onkel Georgi etwa nicht gesagt, dass du mich eingeladen hast?« Marina sah Tatiana vorwurfsvoll an. »Ich habe auch meine Lebensmittelkarte mitgebracht, Onkel Georgi.«
    Papa nickte zögernd. Er konnte das einzige Kind seiner Schwester nicht vor die Tür setzen. Aber die Aussicht, dass nun noch weniger Platz zur Verfügung stand, war nicht gerade erfreulich.
    »Komm, lass uns auspacken, Marina!«, wiederholte Tatiana. An diesem Abend geschah etwas Seltsames. Die Mädchen hatten das Essen einen Moment lang unbeobachtet auf dem Herd stehen lassen, und als sie wieder in die Küche zurückkamen, stellten sie fest, dass die Bratkartoffeln mit den Zwiebeln und der kleinen Tomate verschwunden waren. Auf dem Herd stand lediglich noch die leere, schmutzige Bratpfanne. Dascha und Tatiana blickten sich ungläubig in der Küche um. Dann gingen sie ins Esszimmer in der Hoffnung, jemand anderes habe die Mahlzeit bereits aufgetragen.
    Aber das war nicht der Fall. Die Kartoffeln blieben verschwunden. Dascha zerrte Tatiana hinter sich her, klopfte an jede Tür der Gemeinschaftswohnung und fragte nach dem Essen.
    Zhanna Sarkowa öffnete ihnen ungewaschen und ungekämmt die Tür.
    »Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte Tatiana höflich. »Nein!«, bellte Zhanna. »Mein Mann ist verschwunden! Ihr habt ihn nicht zufällig gesehen, oder?« Tatiana schüttelte den Kopf.
    »Ich fürchte, er ist irgendwo verwundet worden ...« »Wo?«, erkundigte Tatiana sich vorsichtig. »Woher soll ich das wissen? Und lasst mich mit euren blöden Kartoffeln in Ruhe!« Sie schlug ihnen die Tür vor der Nase zu. Slawin lag wie immer vor seiner Tür auf dem Boden und brabbelte vor sich hin. Sein kleines Zimmer stank erbärmlich. »Was isst er eigentlich?«, fragte Tatiana, als sie über ihn hinwegstiegen.
    »Das ist doch nicht unser Problem«, erwiderte Dascha barsch. Die Iglenkos waren nicht zu Hause. Seitdem sie wussten, dass Wolodja tot war, verbrachte Petr Iglenko Tag und Nacht in der Fabrik, wo Metallschrott für Munition eingeschmolzen wurde. Sie hatten zudem gerade erfahren, dass Perka, ihr ältester Sohn, in Pulkowo gefallen war. Jetzt waren ihnen nur noch ihre beiden jüngsten Söhne geblieben, Anton und Kirill. »Arme Nina!«, seufzte Tatiana, als sie zu ihrer Wohnung zurückgingen.
    »Arme Nina!«, äffte Dascha sie aufbrausend nach. »Was redest du da, Tania? Sie hat doch immer noch zwei Söhne. Glückliche Nina!«
    Als sie an ihrer Tür angelangt waren, schnaubte Dascha: »Und außerdem lügen sie alle!«
    An diesem Abend aßen die Metanows nur Brot. Lautstark schrie Papa die Mädchen an, weil sie mit seinem Abendessen so unachtsam gewesen waren.
    Tatiana schwieg und dachte an Alexander, der ihr geraten hatte, sich vor Papa in Acht zu nehmen.
    Nach dem Essen räumten Mama und Babuschka alle Vorräte von der Küche in ihre Zimmer, sie stapelten sie dort in die Ecken und im Flur hinter das Sofa. Mama sagte: »Was für ein Glück, dass wir wenigstens unsere eigene Korridortür haben!« Als Alexander später am Abend zu Besuch kam und von dem Vorfall erfuhr, riet er den Metanows, die Hintertür zur Küche stets verschlossen zu halten.
    Dascha stellte Alexander Marina vor. Sie schüttelten einander die Hände und blickten sich länger als üblich an.

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