Die Liebenden von Leningrad
Dimitri war den Anforderungen nicht gewachsen.« Sie senkte den Kopf. »Zuerst hat ihm das nichts ausgemacht. Ihr seid weiterhin die besten Freunde geblieben. Er wusste ja, dass du alles für ihn tun würdest.« Sie schwieg. »Doch dann begann er, dich um Vergünstigungen zu bitten.« »Du weißt ja schon alles«, seufzte Alexander. »Was will er von dir, Shura?« »Das kannst du dir doch denken!« Sie sahen einander nicht an.
»Er verlangt, dass er nicht versetzt wird, dass er besondere Privilegien bekommt.« »Ja.«
»Sonst noch etwas?«
Alexander schwieg. Tatiana glaubte zunächst, er habe ihre Frage nicht verstanden. Sie wartete geduldig. Schließlich sagte Alexander: »Manchmal hat er gefordert, dass ich ihm Mädchen beschaffe. Man sollte doch meinen, es gäbe genug für alle. Aber ab und zu war ich mit einem Mädchen zusammen, das auch Dimitri begehrte. Er gab mir das zu verstehen und ich zog mich zurück. Ich habe mir dann eben ein anderes Mädchen gesucht.« Tatiana blickte ihn nachdenklich an. »Alexander, Dimitri hat dich immer nur um Mädchen gebeten, die dir gefielen, oder?« »Wie meinst du das?«
»Er hatte es nur auf die abgesehen, die dir etwas bedeuteten.«
Alexander überlegte. »Ja, vermutlich hast du Recht.«
Langsam sagte Tatiana: »Als er irgendwann sein Interesse an mir bekundete, hast du dich zurückgezogen.«
»Nein, ich habe den Gleichgültigen gemimt, in der Hoffnung, er würde dann von dir ablassen. Leider ist die Rechnung nicht aufgegangen.«
Tatiana nickte, dann begann sie zu weinen. »Er wird mich nicht in Ruhe lassen.«
Alexander zog sie in seine Arme. »Er hat sich in dich verliebt.« Tatiana drückte sich an ihn. »Shura, ich muss dir etwas sagen.« »Ja?«
»Dimitri hat sich nicht in mich verliebt.« Alexander ließ sie los.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht im Geringsten, glaub mir!« »Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es eben. Alles, was Dimitri will, ist Macht! Momentan hat er Macht über dich. Ich bin nur Mittel zum Zweck.« Alexander blickte sie skeptisch an, aber sie fuhr fort: »Er beneidet dich. Du bist beliebt, erfolgreich, hast viele Talente. Er hingegen ... Er führt wirklich ein armseliges Leben, Eigentlich kann er einem Leid tun.«
»Leid tun?«, rief Alexander. »Auf wessen Seite stehst du nur?« »Das weißt du doch! Außerdem wird er mit seinem Benehmen nicht durchkommen.«
»Ich weiß nicht ... Er wird nicht lockerlassen.« Alexander schüttelte den Kopf. »Und er hat mich in der Hand. Wenn ich dich nicht ihm überlasse, wird er mich beim NKWD anzeigen. Er wird meine Vergangenheit aufdecken und dann verschwinde ich für immer in einem sowjetischen Gefängnis.«
Tatiana nickte traurig und sagte: »Die Gefahr besteht natürlich. «
»Er wird immer mehr von mir fordern.« »Nein, jetzt irrst du dich, Shura. Denn wenn du nicht nachgibst und deshalb irgendwann nicht mehr da wärst, verlöre er alles«, flüsterte sie.
Alexander blickte sie an. »Nun, dann sucht er sich eben jemand anderen, den er ausnutzen kann.« Tatiana flüsterte: »Wo bleibt deine Entschlossenheit?« Alexander rührte sich nicht. »Shura?«
»Tania, hör auf. Lass uns nicht mehr davon sprechen!« Ihre Hände zitterten. »All das steht zwischen uns, und dennoch kommst du immer bei jeder Gelegenheit, um mich zu sehen.« »Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht aushalte, dir fernzubleiben«, erwiderte Alexander.
Traurig sagte Tatiana: »Vielleicht sollten wie einander vergessen, Shura. Vielleicht sind wir doch nicht füreinander bestimmt.«
»Ach nein?« Alexander lächelte. »Ich verwette mein Gewehr darauf, dass du keineswegs grundlos auf jener Bank ausgeharrt hast.«
Er hatte Recht. Tatiana dachte daran, wie sie absichtlich den Bus verpasst hatte.
»Selbst wenn wir uns voneinander fern halten, werden sich unsere Wege wahrscheinlich erneut kreuzen.« Tatiana schluchzte leise auf. »Da bin ich mir sicher. Ich werde nie vergessen, dass ich dir mein Leben verdanke. Ich gehöre zu dir!«
»Das klingt schön«, flüsterte Alexander und zog sie enger an sich.
»Zieh dich zurück, Shura«, wisperte Tatiana. »Dimitri muss glauben, dass du dir nichts aus mir machst, dann wird er irgendwann das Interesse verlieren. Du wirst schon sehen. Willst du das versuchen?«
»Ich werde mein Bestes tun. Ich werde mein gleichgültigstes Gesicht aufsetzen, wenn ich zu Besuch komme.«
Tatiana nickte und rieb ihre Wange an seinem Arm. »Du kannst dich auf mich verlassen, Alexander, ich
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