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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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letzte Dose Schinken. Es war der 31. Oktober.
    »Was ist in diesem Brot?«, fragte Tatiana, brach ein Stück von der schwarzen Kruste ab und betrachtete das Innere. Es war Anfang November. Babuschka lag auf dem Sofa. Mama und Marina waren bereits aus dem Haus gegangen. Tatiana trödelte noch herum, weil sie keine Lust hatte, ins Krankenhaus zu gehen.
    Dascha zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Und wen kümmert es schon? Wie schmeckt es denn?« »Ehrlich gesagt Ekel erregend.« »Iss es. Oder möchtest du lieber Weißbrot haben?« Tatiana pulte einen Fremdkörper aus dem Brot heraus und leckte vorsichtig daran. »Dasch, oh mein Gott, weißt du, was das ist?«
    »Das ist mir egal.« »Das ist Sägemehl!«
    Dascha hörte auf zu kauen. »Sägemehl?« »Ja, und das hier?« Tatiana wies auf einen braunen Flecken an ihrem Finger. »Das ist Pappe. Wir essen Papier! Dreihundert Gramm pro Tag - und sie geben uns nur Papier.« Dascha leckte sich die letzten Krümel von den Fingern und blickte hungrig auf Tatianas Stück, »Wir haben Glück, dass wir wenigstens das haben. Kann ich eine Dose Tomaten aufmachen?«
    »Nein. Wir haben nur noch zwei. Außerdem sind Mama und Marina nicht da. Du weißt doch, wenn wir sie aufmachen, sollen alle etwas davon bekommen.« »Eben.«
    »Wir machen sie heute zum Abendessen auf.« »Was soll das denn für ein Abendessen sein? Tomaten!« »Wenn du nicht jetzt schon deine ganze Pappe aufgegessen hättest, hättest du heute Abend noch etwas.« »Ich kann nicht anders.«
    »Ich weiß«, erwiderte Tatiana, steckte sich ebenfalls den Rest ihres Brotes in den Mund und kaute es andächtig. Als sie es heruntergeschluckt hatte, sagte sie: »Ich habe noch ein bisschen geröstetes Brot übrig. Möchtest du welches? Jede drei Stück.« »Ja.« Die Mädchen blickten mit einem schlechten Gewissen auf die schlafende Babuschka.
    Jede aß sieben Stücke. Nur kleine Reste waren von dem ganzen gerösteten Brot noch übrig.
    »Tania, bekommst du noch deine Regel?«
    »Was?«
    »Nun sag schon.« Daschas Stimme klang ängstlich und genauso ängstlich hörte sich Tatiana an, als sie antwortete: »Nein. Warum fragst du?« »Ich auch nicht.« »Oh.«
    Die Schwestern schwiegen und atmeten gepresst. Schließlich fragte Tatiana zögernd: »Machst du dir Sorgen, Dascha?« Dascha schüttelte den Kopf. »Darüber mache ich mir keine Sorgen. Alexander und ich ...« Sie blickte Tatiana an. »Na ja. Nein, ich habe Angst, dass ich sie nie wieder bekomme.« »Ach was«, erwiderte Tatiana erleichtert und traurig zugleich. »Wenn wir erst wieder etwas zu essen haben, kommt auch die Regel wieder.«
    »Tania«, flüsterte Dascha, »spürst du es nicht auch? Dass dein Körper auf einmal gar nicht mehr zu dir gehört?« Sie begann zu weinen. »Dass es ein Gefühl ist, als ob du ihn verlierst?« Tatiana umarmte ihre Schwester. »Liebes«, sagte sie, »mein Herz schlägt noch. Ich verliere mich nicht. Und du dich auch nicht, Dascha.«
    Schweigend saßen die beiden Mädchen in dem kalten Zimmer. Dascha erwiderte Tatianas Umarmung.
    An diesem Abend kam Tatiana mit einem Topf voller klarer Flüssigkeit nach Hause, die es in der Cafeteria des Krankenhauses zu essen gab. Eine einsame Kartoffel schwamm darin.
    »Das ist Hühnersuppe«, sagte Tatiana zu ihrer Familie. »Mit Schinkenknochen.«
    »Wo ist das Huhn? Wo ist der Schinkenknochen?«, fragte Mama, während sie in den kleinen Topf blickte.
    »Ich hatte Glück, dass ich überhaupt etwas bekommen habe.«
    »Ja, Taneschka, du hast Recht. Teil es aus«, sagte Mama.
    Es schmeckte wie heißes Wasser mit einer Kartoffel. Weder Salz noch Öl war daran. Tatiana teilte die Brühe in fünf Portionen auf.
    »Ich hoffe, Alexander kommt bald zurück, damit wir etwas von seinem Essen abhaben können. Er bekommt solch eine gute Ration«, sagte Dascha.
    Ich hoffe auch, dass Alexander bald zurückkommt, dachte Tatiana. Ich vermisse ihn so sehr.
    »Ach«, sagte Mama, »seit heute Mittag haben wir auf dieses Essen gewartet. Dabei müsste man sich um die Verwundeten kümmern oder nach den Luftangriffen helfen. Doch wir können nur noch ans Essen denken.«
    »Genau das wollen die Deutschen ja«, erwiderte Tatiana. »Sie wollen, dass wir alles im Stich lassen, am Ende auch unsere Stadt, und das tun wir schon bald nur für eine Kartoffel.« »Ich kann hier nicht weggehen«, sagte Mama. »Ich muss fünf Uniformen von Hand nähen.«
    Sie warf Babuschka, die schweigend ihr Brot kaute, einen finsteren Blick

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