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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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zu.
    »Wir gehen auch nicht hier weg«, beruhigte Tatiana sie. »Wir werden alle nähen und unser Leningrad nicht im Stich lassen.« Die anderen schwiegen.
    Als der Luftalarm einsetzte, begaben sie sich alle in den Luftschutzkeller, auch Tatiana. Sie musste über eine Frau steigen, die an der Wand sitzend gestorben war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Leiche wegzubringen. Tatiana sank auf die Bank und wartete auf die Dunkelheit.

    Dascha schrieb Alexander jeden Tag einen kurzen Brief. Wie glücklich sie doch sein kann, dachte Tatiana, dass sie ihm schreiben, ihm ihre Gedanken mitteilen kann. Sie schrieben auch an ihre verwitwete Babuschka in Molotow. Antwortbriefe von dort kamen nur selten. Die Postzustellung funktionierte nur schlecht. Dann hörte sie ganz auf und Tatiana ging zur Poststelle auf dem Newskij, wo ein alter zahnloser Mann saß und ihr die Briefe nur aushändigen wollte, wenn sie ihm etwas zu essen gab. Eines Tages holte sie einen Brief von Alexander an Dascha ab.
    Meine liebe Dascha und alle anderen,
    die Gnade des Krieges besteht darin, dass die Frauen das Elend nicht sehen müssen - bis auf die Krankenschwestern, die uns pflegen, und sie werden langsam immun gegen unsere Schmerzen.
    Wir haben versucht, die Inselfestung Oreschek gegenüber von Schlüsselburg mit Munition zu versorgen. Eine kleine Gruppe von Soldaten hat die Insel seit September trotz intensivem Beschuss der Deutschen gehalten. Kennt ihr Oreschek? Lenins Bruder Alexander wurde dort 1887 gehängt, weil er mit zu denen gehörte, die die Ermordung Alexanders III. geplant haben.
    Seit Kriegsausbruch werden die Seeleute und Soldaten, die an der Newa-Mündung stehen, als Helden des Neuen Russlands gepriesen - dem Russland nach Hitler. Man hat uns gesagt, wenn wir siegen, wird das Leben in der Sowjetunion völlig anders werden. Ein viel besseres Leben hat man uns versprochen, aber wir müssen darauf vorbereitet sein, dafür zu sterben. Gebt euer Leben hin, sagt man uns, damit eure Kinder leben können.
    Die Kämpfe hören nicht einmal nachts auf. Und der Regen auch nicht. Wir sind seit sieben Tagen ununterbrochen nass. Drei meiner Männer sind schon an Lungenentzündung gestorben. Dennoch bin ich froh, dass ich mich im Moment nicht in
    Moskau befinde. Habt ihr gehört, was dort passiert? Ich glaube, die Situation dort könnte uns retten. Und euch auch, Hitler hat für den Angriff auf Moskau einen großen Teil seiner Nordarmee mit Flugzeugen und Panzern von Leningrad abgezogen. Wenn Moskau fällt, werden sie hierher zurückkehren, aber im Moment entlastet es uns.
    Mir geht es gut. Ich finde es nicht besonders angenehm, ständig durchnässt zu sein, aber wir werden immer noch wie Offiziere verpflegt. Immer wenn ich Fleisch esse, denke ich an euch. Passt auf euch auf Sag Tatiana, sie soll immer dicht an den Gebäuden vorbeigehen. Und wenn Bomben fallen, soll sie sich in einen Hauseingang stellen. Sag ihr, sie soll den Helm tragen, den ich ihr gegeben habe.
    Mädchen, gebt unter gar keinen Umständen euer Brot weg. Und bleibt vom Dach weg.
    Bitte benutzt die Seife, die ich euch dagelassen habe. Man fühlt sich immer besser; wenn man sauber ist. Das hat mein Vater mir beigebracht. An der Winterfront ist es allerdings schwierig, sauber zu bleiben. Ein Vorteil ist jedoch, dass die Läuse, die Typhus übertragen, bei dieser Kälte nicht überleben können. Ich denke jede Minute des Tages an euch. Bis ich euch wiedersehe, bin ich mit fernen Grüßen euer Alexander
    Tatiana trug den Helm. Sie benutzte die Seife. Sie verbarg sich in Hauseingängen. Aber ihre Gedanken galten nur Alexander, der Tag und Nacht durchnässt in seiner Uniform am Ladogasee stand.

Niemand hätte sich je vorstellen können, was mit Leningrad passierte.
    Marinas Mutter starb. Mariska starb. Anton starb.
    Das Artilleriefeuer und die Bombardierung hörten nicht auf. Allerdings fielen weniger Brandbomben, was Tatiana daran merkte, dass es immer weniger Brände gab, an denen sie sich wärmen konnte.
    Als sie im November eines Morgens zum Laden ging, sah Tatiana zwei Tote auf der Straße liegen. Auf dem Heimweg waren es schon sieben. Sie waren nicht verletzt oder verwundet, sondern einfach aus Schwäche und vor Hunger gestorben. Tatiana schlug das Kreuzzeichen, als sie an ihnen vorbeiging. Dann blieb sie stehen und dachte verwundert, was habe ich da gemacht? Habe ich wirklich ein Kreuz geschlagen? Ich lebe doch im kommunistischen Russland. Warum tue ich das dann? Für Gott

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