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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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entweder geschlossen oder von langen Menschenschlangen belagert. Nach und nach wurden die Straßen leerer - helle, verlassene Leningrader Straßen.
    Und sie fuhren immer weiter in den Norden der Stadt. Plötzlich merkte Tatiana, dass sie schon seit langem am Polustrovskij vorbeigefahren waren. Sie wusste nicht einmal mehr, wo sie sich befanden. Unruhig rutschte sie auf ihrem Platz hin und her. Einfach aussteigen konnte sie nicht. Auch der Soldat machte keinerlei Anstalten, die Glocke zu läuten. Worauf hoffte sie eigentlich? Beobachten zu können, wo er ausstieg, um dann an einem anderen Tag mit Marina noch einmal hierher zu kommen? Tatiana zitterte nervös. Es war albern. Eigentlich suchte sie nur nach einer unauffälligen Möglichkeit, wieder nach Hause fahren zu können. Immer mehr Leute stiegen aus. Schließlich saßen nur noch Tatiana und der Soldat im Bus.
    Tatiana wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Der Soldat stieg nicht aus. In welche Situation habe ich mich da nur gebracht?, dachte sie. Sie beschloss, endlich auszusteigen, aber als sie die Glocke betätigte, drehte sich der Fahrer um und fragte: »Du willst hier aussteigen, Mädchen? Hier ist nur Industriegelände. Bist du hier mit jemandem verabredet?« » Ah, nein«, stammelte sie.
    »Na, dann warte. Die nächste Haltestelle ist Endstation.« Verlegen sank Tatiana auf ihren Platz zurück.
    Der Bus bog in einen staubigen Busbahnhof ein. Der Fahrer rief: »Endstation!«
    Tatiana stieg aus. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Sie legte die Hand auf die Brust, um ihr heftig klopfendes Herz zu beruhigen.
    Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte nur den Bus zurück nehmen. Langsam ging sie ein Stück von der Haltestelle fort. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, traute sie sich endlich, sich umzusehen, und da war er und lächelte sie fröhlich an. Er hatte ganz weiße Zähne - ungewöhnlich für einen Russen. Unwillkürlich erwiderte sie sein Lächeln. Wahrscheinlich sah er ihr die Erleichterung an.
    Doch nicht nur Erleichterung, sondern auch Misstrauen, Angst und noch etwas anderes standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
    Grinsend sagte der Soldat: »Na gut, ich gebe auf. Wohin gehst du?«
    Was sollte Tatiana ihm darauf antworten? Sein Russisch war korrekt, aber er hatte einen ganz leichten Akzent. Woher mochte er kommen? Aus Georgien vielleicht? Armenien? Auf jeden Fall von irgendwo am Schwarzen Meer. »Entschuldigung?«, sagte Tatiana schließlich. Der Soldat lächelte wieder. »Wohin gehst du?« Während Tatiana ihn anblickte, bekam sie beinahe einen steifen Hals. Sie war klein und der Soldat überragte sie deutlich. Das musste sie ihn unbedingt auch fragen, wenn sie endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte - wie groß er war. Sie waren dummerweise mitten auf der verlassenen Straße stehen geblieben. Es war nicht viel los auf dem Busbahnhof, an einem Sonntag im Sommer, an dem der Krieg ausgebrochen war. Statt auf Busse zu warten, standen die Leute vor den Geschäften Schlange, um Lebensmittel zu kaufen. »Ich glaube, ich habe meine Haltestelle verpasst«, murmelte Tatiana. »Ich muss zurückfahren.«
    »Wohin wolltest du denn fahren?«, fragte der Soldat höflich, wobei er sich nicht von der Stelle rührte. »Wohin?«, wiederholte sie. Ihre Haare sahen furchtbar aus. Tatiana schminkte sich nie, aber jetzt wünschte sie, sie hätte wenigstens etwas Lippenstift benutzt. Irgendetwas, damit sie sich nicht so hässlich vorkam.
    »Lass uns von der Straße gehen«, sagte der Soldat. »Möchtest du dich setzen?« Er wies auf eine Bank. »Hier können wir auf den nächsten Bus warten.« Sie ließen sich nieder. Er saß viel zu nahe neben ihr.
    »Weißt du, es ist schon komisch«, begann Tatiana, nachdem sie sich ausgiebig geräuspert hatte. »Meine Kusine Marina wohnt am Polustrovskij Prospekt - ich wollte dorthin fahren ...«
    »Das war aber schon vor ein paar Kilometern. Mindestens vor zwölf Haltestellen.«
    »Wirklich?«, entgegnete Tatiana verwirrt. »Ich muss es einfach verpasst haben.«
    Er machte ein ernstes Gesicht. »Mach dir keine Sorgen. Wir fahren einfach zurück. Der Bus kommt in ein paar Minuten.« Sie blickte ihn an und fragte: »Wohin wolltest ... du denn fahren?«
    »Ich? Ich bin bei der Garnison und bin heute auf Stadtpatrouille.« Seine Augen blitzten.
    Oh, na großartig, dachte Tatiana und wandte den Blick ab. Er war nur auf Stadtpatrouille und sie war seinetwegen so weit gefahren. Was war sie doch für eine Idiotin! Verlegen und mit

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