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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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werden wir allerdings kurz anhalten. Ich muss mich abmelden. Für den Rest des Weges muss ich dir dann die Augen verbinden. Du darfst ja schließlich nicht wissen, wo die Soldatenunterkünfte sind, oder?«
    Tatiana traute sich nicht, Alexander in die Augen zu blicken, um festzustellen, ob er einen Scherz machte. »Ach«, sagte sie und versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen. »Jetzt sind wir schon die ganze Zeit zusammen und wir haben noch nicht über den Krieg geredet.« Sie setzte ein ernstes Gesicht auf. »Alexander, was denkst du denn über Hitlers Vorgehen?«
    Warum sah er sie nur so amüsiert an? Hatte sie etwas so Lustiges gesagt? »Willst du wirklich über den Krieg reden?« »Natürlich«, beharrte sie. »Es ist ein wichtiges Thema.« Verwundert blickte er sie an. »Es ist eben Krieg«, erwiderte er. »Es war unvermeidlich. Wir haben schon lange darauf gewartet. Lass uns hier entlang gehen.«
    Sie liefen am Ingenieurschloss vorbei und über die kleine Brücke am Fontanka-Kanal, wo der Fontanka- und der Mojka-Kanal zusammenflössen. Tatiana liebte die leicht geschwungene Granitbrücke und manchmal kletterte sie aufs Geländer und balancierte darauf. Heute tat sie das natürlich nicht. Heute benahm sie sich nicht wie ein Kind.
    Dann gingen sie am westlichen Ende des Sommergartens vorbei auf die riesige Rasenfläche des Marsfeldes zu. »Wir können dieses Land Hitler überlassen oder wir können ihm entgegentreten und für Mütterchen Russland kämpfen«, sagte Alexander. »Aber das wird ein Kampf auf Leben und Tod.« Er streckte den Arm aus. »Dort drüben ist die Kaserne.« »Auf Leben und Tod? Tatsächlich?« Tatiana blickte auf und verlangsamte ihre Schritte. Sie hätte sich gern die Schuhe ausgezogen. »Gehst du denn auch an die Front?« »Ich gehe dorthin, wo sie mich hinschicken.« Alexander wurde ebenfalls langsamer, dann blieb er stehen. »Tania, warum ziehst du nicht einfach die Schuhe aus? Das ist bestimmt bequemer für dich.«
    »Ist schon in Ordnung«, erwiderte sie. Woher wusste er, dass ihre Füße sie beinahe umbrachten? War das so offensichtlich? »Mach schon«, drängte er sie sanft. »Dann kannst du auf dem Gras leichter laufen.«
    Er hatte Recht. Mit einem Seufzer der Erleichterung bückte sie sich und streifte die Sandalen von den Füßen. Dann richtete sie sich wieder auf, blickte Alexander an und sagte: »So ist es besser.«
    Er betrachtete sie schweigend. »Du bist wirklich winzig«, sagte er schließlich.
    »Ich bin nicht winzig«, gab sie zurück. »Du bist nur riesengroß.« Errötend schlug sie die Augen nieder. »Wie alt bist du, Tania?«
    »Älter, als du denkst«, erwiderte Tatiana. Sie hätte gern erwachsen und reif geklungen. Die warme Brise blies ihr die blonden Haare ins Gesicht. Da sie die Schuhe in der einen Hand hielt, versuchte sie, mit der anderen die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Sie wünschte, sie hätte ein Gummiband, um sich einen Pferdeschwanz zu binden. Alexander stellte sich vor sie und strich ihr die Haare zurück. Seine Augen glitten von ihren Haaren zu ihren Augen und dann zu ihrem Mund, Hatte sie noch Eiscreme an den Lippen? Ja, wahrscheinlich. Wie peinlich! Sie leckte sich über die Lippen und an den Mundwinkeln entlang. »Was ist los?«, fragte sie. »Habe ich Eis ,..« »Woher willst du wissen, für wie alt ich dich halte?«, fragte er. »Sag mir, wie alt du bist.« »Ich werde bald siebzehn«, erwiderte sie. »Wann?« »Morgen.«
    »Du bist noch nicht einmal siebzehn?«, staunte Alexander. »Morgen werde ich siebzehn!«, wiederholte sie empört.
    »Siebzehn. Na gut. Sehr erwachsen.« Seine Augen blitzten. »Und wie alt bist du?«
    »Zweiundzwanzig«, sagte er. »Gerade erst zweiundzwanzig.« Ihr entschlüpfte ein enttäuschtes »Oh«.
    »Ist das sehr alt?«, fragte Alexander, wobei er ein Grinsen nicht unterdrücken konnte.
    »Uralt«, erwiderte Tatiana, die ebenfalls lächeln musste. Langsam schlenderten sie über das Marsfeld, Tatiana barfuß, die roten Sandalen in der Hand.
    Als sie auf dem Pflaster angekommen waren, zog Tatiana die Sandalen wieder an und sie gingen auf ein hässliches, braunes vierstöckiges Gebäude zu, das sich von den anderen dadurch unterschied, dass es keine Haustür hatte. Ein dunkler Gang führte hinein. »Das ist die Pawlow-Kaserne, wo ich stationiert bin«, sagte Alexander.
    »Das ist die berühmte Pawlow-Kaserne?« Tatiana blickte an dem schäbigen Gebäude empor. »Das kann doch gar nicht sein.«
    »Was hast du

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