Die Liebenden von Leningrad
tut mir Leid, dass du dir das alles anhören musst.«
Alexander konnte nicht mehr weiteressen. Sanft streichelte er über ihren Rücken. Dann ergriff er seine Gabel wieder. »Alexander, weißt du, was sie tat, als sie hörte, dass Lazarewo zehn Kilometer von Molotow entfernt liegt?« »Lasst mich raten«, erwiderte Alexander. »Sie fiel in Ohnmacht. «
»Ja. Woher weißt du das?«, fragte Axinja verblüfft. »Ich bin schon früher oft ohnmächtig geworden«, erklärte Tatiana.
Naira sagte: »Als sie aus der Quarantäne kam, saßen wir im Krankenhaus noch lange an ihrem Bett und hielten ihr die Sauerstoffmaske vor das Gesicht, damit sie atmen konnte.« Sie wischte sich über die Augen und fügte hinzu: »Als ihre Großmutter starb ...«
Alexander fiel die Gabel aus der Hand. Schweigend starrte er auf seinen Teller. Tatiana blickte ihn traurig an. »Wo ist der Wodka, Tania?«, fragte Alexander. »Ich hatte doch noch nicht genug.«
Sie schenkte ihm ein und goss auch sich ein kleines Glas voll. Dann hoben sie ihre Gläser und stießen an. Tatiana flüsterte: »Sei tapfer, Shura.« Er konnte nicht antworten. Alle schwiegen, bis Alexander fragte: »Woran ist sie gestorben?« Naira putzte sich die Nase. »An der Ruhr. Letzten Dezember.« Sie beugte sich vor. »Ich persönlich glaube allerdings, dass sie einfach nicht mehr weiterleben wollte, nachdem Tanias Großvater gestorben war.« Naira warf Tatiana einen Blick zu. »Ich weiß, dass Tania genauso denkt.« Tatiana nickte. Naira schenkte Alexander noch einen Wodka ein. »Als Anna starb, sagte sie zu mir: >Naira, ich wünschte, du könntest meine Enkelinnen aus Leningrad kennen lernen, aber unsere kleine Tania wirst du wahrscheinlich nie sehen. Sie schafft es bestimmt nicht bis hierher. Sie ist so zart.«< »Anna kannte ihre Enkelin offensichtlich nicht gut genug«, sagte Alexander und stürzte seinen Wodka hinunter. »Sie sagte zu uns: >Wenn meine Enkelinnen kommen, sorg bitte dafür, dass es ihnen gut geht. Halte mein Haus für sie in Ordnung ...<«, fuhr Naira fort. »Was für ein Haus?«, fragte Alexander. »Oh, sie hatte eine Holzhütte ...« »Wo denn?«
»Im Wald in der Nähe des Flusses. Tania kann sie dir zeigen.
Als es Tania besser ging und sie mit uns nach Lazarewo kam, wollte sie dort wohnen.« Naira riss die Augen auf und schaute Alexander viel sagend an. »Ganz allein!«
»Was hat sie sich nur dabei gedacht?«, erwiderte Alexander kopfschüttelnd.
Strahlend stimmten ihm die vier Frauen zu. Naira sagte: »Eine Enkelin von unserer Anna muss hier doch nicht allein leben! Was soll dieser Unsinn! Wir haben gesagt, du gehörst zu unserer Familie. Deda war der Cousin meines ersten Ehemannes, also wohnst du bei uns. Das ist doch viel schöner. Stimmt es nicht, Taneschka?«
»Doch, Naira Michailowna.« Tatiana gab Alexander noch Kartoffeln. »Du hast doch sicher noch Hunger«, sagte sie leise. »Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht so genau«, erwiderte Alexander. »Aber ich esse einfach weiter.« Naira sagte: »Unserer Tania geht es jetzt wieder besser, aber sie muss auf sich aufpassen. Sie hat immer noch einmal im Monat in Molotow eine Nachuntersuchung. Die Tuberkulose kann jederzeit wieder ausbrechen. Deshalb rauchen wir auch alle draußen ...«
»Und es macht uns gar nichts aus«, warf Vova ein und legte den Arm um Tatiana.
Axinja sagte: »Alexander, du hast ja keine Ahnung, wie dünn sie war, als sie zu uns kam ...«
»Oh, ich kann es mir gut vorstellen«, erwiderte Alexander. »Sie bestand nur noch aus Haut und Knochen«, sagte Dusia. »Beinahe hätte sie noch nicht einmal der Herrgott retten können.«
Axinja lächelte und warf Tatiana einen liebevollen Blick zu. »Aber wir haben dich richtig gemästet, nicht wahr, Liebes? Jeden Tag gibt es Eier, Milch und Butter. Sie ist jetzt schön rundlich, findest du nicht auch, Alexander?« »Hmm«, sagte Alexander und drückte Tatianas Oberschenkel unter dem Tisch.
»Wie ein warmes Brötchen«, fügte Axinja hinzu. »Ein warmes Brötchen?«, wiederholte Alexander grinsend. Tatiana wurde flammend rot. Im Sitzen bedeckte ihr Kittel die Oberschenkel nicht ganz, und seine Hand streichelte sie unablässig. Abrupt stand sie auf und fragte: »Alexander, möchtest du noch etwas?« Mit zitternden Händen ergriff sie die Bratpfanne. »Es ist noch genug da.« Sie lächelte ihn an. »Ich glaube, ich trinke lieber noch etwas«, erwiderte Alexander. Dieses Mal wandte er den Blick ab.
Axinja sagte: »Alexander, du
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