Die Liebenden von Leningrad
passiert ist. Das findet Vova auf jeden Fall auch.« Sie lachte und erklärte: »Mein Enkel hat viel für Tatiana übrig.«
Alexander wurde langsam ungeduldig. Er wollte endlich mit Tatiana allein sein. Er ging hinaus, um eine Zigarette zu rauchen, und als er wieder ins Zimmer trat, überfiel ihn mit einem Schlag die Müdigkeit. Er zog seine Stiefel aus und setzte sich an den Tisch. Nach kurzer Zeit sank sein Kopf nach unten, und er war eingeschlafen. Als er aufwachte, war es dunkel. Jemand schüttelte ihn leicht und streichelte seinen Rücken. »Komm, Shura!«, flüsterte Tatianas Stimme. »Kannst du aufstehen? Bitte leg dich ins Bett!«
Er kletterte in das Bett auf dem Kachelofen und schlief sofort wieder ein. Im Halbschlaf spürte er, wie Tatiana ihm die Socken auszog, seine Jacke aufknöpfte und ihm den Gürtel abnahm. Er spürte ihre weichen Lippen auf seinen Augen, auf seiner Wange und auf seiner Stirn. Etwas Weiches glitt über sein Gesicht. Es waren bestimmt ihre Haare. Er wäre gern wach geblieben, aber es war unmöglich. Er fiel in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen schlug Alexander die Augen auf und schaute auf seine Armbanduhr. Es war bereits acht Uhr. Er blickte sich nach Tatiana um, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken. Er lag auf ihrem Kopfkissen, eingehüllt in ihre Steppdecke. Lächelnd drückte er seine Nase in das Kissen. Es roch nach Seife und nach frischer Luft. Zudem glaubte er, Tatianas vertrauten Duft wahrzunehmen.
Im Haus war es still. Alexander wusch sich und machte sich dann auf die Suche nach Tatiana. Sie kam ihm auf der Straße mit zwei Kannen voller warmer Kuhmilch entgegen. Ihre weißblonden Haare fielen ihr auf die Schultern. Sie trug einen kurzen, blauen Wickelrock und ein weißes Hemd, das ihr nur bis zum Nabel reichte. Ihre runden Brüste zeichneten sich deutlich darunter ab. Sie war erhitzt, und ihr Gesicht hatte eine rosige Farbe. Als Alexander sie sah, setzte sein Herzschlag für einen Moment aus. Er nahm ihr die Milchkannen ab, und sie gingen eine Weile lang schweigend nebeneinander her. »Vermutlich musst du noch Wasser aus dem Brunnen holen, nicht wahr?«, fragte er schließlich.
»Womit hast du dich denn heute früh rasiert?«, gab Tatiana zurück.
»Ich habe mich nicht rasiert.« »Aber du hast dir die Zähne geputzt.« Sie lächelte. Er lachte. »Ja. Mit dem Wasser vom Brunnen. Ich möchte übrigens, dass du mir das Haus deiner Großeltern zeigst. Ist es weit bis dorthin?«
»Nein«, antwortete sie mit undurchdringlicher Miene. »Wo hast du denn heute Nacht geschlafen?«
»Auf dem Sofa auf der Veranda«, erwiderte sie. »Hattest du es bequem? Du hast nämlich in deinen Kleidern geschlafen. Ich habe dich nicht wach bekommen ...«
»Hast du es denn versucht?«, unterbrach Alexander sie.
»Ja. Es war ein hartes Stück Arbeit, dich dazu zu bringen, auf den Ofen zu klettern.«
Er erinnerte sich an ihre Lippen auf seinem Gesicht und fügte grinsend hinzu: »Du hast mir die Socken und den Gürtel ausgezogen. Dann hättest du auch weitermachen können.« »Nein, du warst einfach zu schwer«, murmelte Tatiana errötend. »Wie fühlst du dich denn heute früh? Nach all dem Wodka ...«
»Großartig! Und wie geht es dir?«
»Ganz gut«, sagte sie und warf ihm einen verstohlenen Blick zu. »Hast du irgendwelche Kleidungsstücke dabei - außer deiner Uniform?« »Nein.«
»Ich wasche sie dir heute«, versprach sie, »aber wenn du eine Weile hier bleiben willst, dann habe ich auch normale Kleidung für dich.«
»Möchtest du denn, dass ich hier bleibe?« »Natürlich«, sagte Tatiana. »Schließlich hast du eine weite Reise hinter dir. Du solltest dich eine Zeit lang ausruhen.« »Tania«, begann Alexander, »jetzt, wo ich wieder einen klaren Kopf habe, kannst du mir gern von Dimitri erzählen.« »Nein«, entgegnete sie, »bitte nicht. Ein anderes Mal vielleicht. «
»Er war vor zwei Wochen noch bei mir in der Kaserne und er hat mir nicht gesagt, dass er dich in Kobona getroffen hat.« »Was hat er denn sonst gesagt?«
»Nichts. Ich habe ihn gefragt, ob er dich und Dascha gesehen habe, und er sagte nein.«
Kopfschüttelnd blickte Tatiana vor sich hin. »Natürlich hat er mich und Dascha gesehen«, erwiderte sie dann leise. Alexander wollte sie nicht weiter bedrängen. Während sie zum Haus zurückgingen, sprach er von der Lage der russischen Armee. Außerdem erzählte er ihr von Leningrad, zum Beispiel auch davon, dass nun überall in der Stadt Gemüse angebaut
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