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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Diskussionsfaden wieder auf, weil sie glaubte, Recht zu haben. »Lass uns noch mal über Puschkin reden. Russland, wie Jewgeni es verkörperte, wollte nicht modernisiert werden. Peter der Große hätte es besser in Ruhe gelassen.« »Was?«, rief Alexander. »Es gab Russland gar nicht. Als das übrige Europa in das Zeitalter der Aufklärung eintrat, herrschte in Russland noch tiefes Mittelalter. Nachdem Peter Leningrad gebaut hatte, gab es auf einmal Kultur, Bildung und Reisen, man sprach die französische Sprache, die Wirtschaft florierte, eine Mittelschicht bildete sich heraus und es gab eine gebildete Aristokratie. Es gab Musik und Bücher. Die Bücher, die du so liebst! Tolstoi hätte nie seine Romane schreiben können, wenn nicht Peter der Große hundert Jahre zuvor Leningrad errichtet hätte. Das Opfer, das Jewgeni und Parascha gebracht haben, hat eine bessere Weltordnung hervorgerufen. Das Licht hat über die Dunkelheit triumphiert.« »Na ja«, entgegnete Tatiana, »dir fällt es leicht, über ihr Opfer zu reden. Du wirst ja auch nicht von einem ehernen Reiter gejagt.«
    »Sieh es doch mal anders«, entgegnete Alexander und biss in eine Scheibe Brot. »Was essen wir heute Abend? Kohlkuchen. Brot. Weißt du warum?«
    Zögernd erwiderte sie: »Ich verstehe nicht, wo da der Zusammenhang ...« »Warte ab, du wirst es gleich verstehen. Wir essen Kaninchenfutter, weil wir heute Morgen nicht um fünf Uhr aufstehen wollten. Heute früh habe ich gesagt, wir müssen jetzt aufstehen, wenn wir Forellen fangen wollen. Hast du auf mich gehört?«
    Sie schnaubte. »Manchmal tue ich das und manchmal ...« »Genau.« Er nickte. »An den Tagen, an denen du auf mich hörst, gibt es Fisch. Natürlich ist es schrecklich schwer, so früh aufzustehen, aber danach haben wir etwas Gutes zu essen. Und genau das will ich damit sagen: Alle großen Dinge erfordern große Opfer. Und genauso empfinde ich die Sache mit Leningrad. Es war es einfach wert.« Tatiana warf ein: »Und was ist mit Stalin?« Alexander stellte seinen Teller auf die Decke. »Ich habe gesagt große Dinge. Für Stalins Welt Opfer zu bringen ist die Mühe nicht wert. Das wäre genauso, als wenn ich dich zwingen würde, morgens in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, nur damit du die Pilze sammeln könntest, die ich immer ausreiße, also die giftigen.« Alexander lachte. »Würdest du dafür aufstehen wollen?« »Ich will auch jetzt nicht aufstehen«, grummelte Tatiana. »Iss deinen Teller leer. Es ist zwar kein Fisch ...« »Aber es ist ein schöner Tania-Kuchen«, erwiderte er und zwinkerte Tatiana fröhlich zu. »Es gibt Kämpfe im Leben, die muss man einfach kämpfen, auch wenn man es nicht will. Und sie sind es sogar wert, dass man sein Leben dabei lässt.« Er aß auf und stellte seinen Teller wieder fort. »Komm her.« Tatiana kroch zu ihm auf die Decke. »Lass uns nicht mehr darüber reden«, sagte sie und umarmte ihn fest. »Nein«, erwiderte Alexander. »Wir springen jetzt in die Kama.«
    Als Alexander am nächsten Morgen Holz hackte, hörte er Tatiana plötzlich laut schreien. Er ließ die Axt fallen und rannte zur Hütte. Sie kauerte oben auf der Kiste und hatte die Beine bis zum Hals gezogen. »Was ist los?«, keuchte er.
    »Shura, eine Maus ist an meinen Füßen vorbeigehuscht, als ich gekocht habe!«
    Alexander blickte auf die Eier in der Pfanne, auf den kleinen Topf mit Kaffee, auf die Tomaten, die schon auf den Tellern lagen, und dann wieder zu Tatiana, die auf der Kiste hockte. Unwillkürlich musste er grinsen. » Was machst du ...« - er musste an sich halten, um nicht in lautes Lachen auszubrechen -»... was machst du denn da oben? «
    »Ich habe es dir doch gesagt!«, schrie sie, »eine Maus ist vorbeigelaufen und hat mich mit ihrem Schwanz gestreift.« Sie erschauerte. »Kannst du bitte mal nachsehen?« Alexander trat zu der Kiste und nahm Tatiana auf den Arm. Sie schlang die Arme um seinen Hals, hielt ihre Füße aber vom Boden fern. Er küsste sie zärtlich und sagte: »Tatiascha, du Dummerchen, weißt du denn nicht, dass Mäuse klettern können?« »Nein, das können sie nicht.«
    »Ich habe in Finnland Mäuse am Zelt des Kommandanten hochklettern sehen. Sie wollten an das Stück Käse herankommen, das wir oben aufs Zelt gelegt hatten.« »Warum habt ihr denn den Käse dort hingelegt?« »Na, weil wir sehen wollten, ob Mäuse klettern können!« Unwillkürlich musste Tatiana lachen. »Na schön, aber du bekommst kein Frühstück, bevor die Maus

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