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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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ungerührt sitzen. »Aber da, wo vorher nichts war, ist jetzt eine Stadt! Dort, wo vorher nur Sümpfe waren, ist jetzt Zivilisation!«
    »Rück doch ein bisschen! Sag das Puschkins Jewgeni. Er ist wahnsinnig geworden. Sag das Puschkins Parascha. Sie ist ertrunken. «
    »Jewgeni und Parascha waren schwach. Für sie ist ja auch keine Statue errichtet worden.«
    »Mag sein«, erwiderte Tatiana. »Aber, Shura, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Puschkin selbst eine ambivalente Haltung zu dem Thema hatte. Er hat gefragt, ob Menschenleben nicht ein zu hoher Preis für die Erbauung von Leningrad waren.«
    »Man kann es durchaus von der Hand weisen«, entgegnete Alexander streitlustig. »Ich glaube nicht, dass er wirklich ambivalent war. Bekommt dieser Kuchen auch eine Füllung, oder schiebst du einfach nur den Teig in den Ofen?« Tatiana hielt inne und starrte ihn an. »Shura, wie kannst du das sagen?«
    »Was denn? Ich sehe keine Füllung.«
    Sie tippte ihn leicht mit dem Nudelholz an. »Hol mir die Pfanne vom Ofen. Wie kannst du sagen, er sei nicht ambivalent gewesen? Du weißt doch, was er geschrieben hat! Das ganze Gedicht handelt davon!« Sie holte tief Luft.
    » Und, nur vom Mondlicht blass umflossen, Jagt er, der hoch die Rechte hebt, Auf dröhnend galoppierndem Rosse Der Eh'rne Reiter selbst ihm nach.«
    »Das Gedicht endet nicht so, wie es begann, mit den großartigen Granitwällen und den goldenen Türmen Leningrads, mit den weißen Nächten und dem Sommergarten. Am Ende des Gedichts sagt er uns, dass Leningrad zwar erbaut wurde, aber dass die Statue Peters des Großen in einem Alptraum zum Leben erwacht und Jewgeni auf ewig durch die prächtigen Leningrader Straßen jagt.«
    » Wohin auch seine Schritte lenkte Der Ärmste diese ganze Nacht, Der Eh'rne Reiter sah's und sprengte Ihm schweren Hufschlags ständig nach.«
    Tatiana erschauerte leicht. Warum war ihr auf einmal so kalt? Alexander reichte ihr die gusseiserne Pfanne. »Shura, das ist der Preis von Leningrad! Parascha ist ertrunken, und Jewgeni wird bis in alle Ewigkeit vom Ehernen Reiter verfolgt«, fuhr Tatiana fort, während sie die Füllung auf den Teig löffelte. »Ich glaube, Parascha wäre lieber am Leben geblieben. Und Jewgeni wollte ganz sicher nicht mit seiner geistigen Gesundheit bezahlen, da hätte er lieber weiter im Sumpf gewohnt.«
    Alexander schwang sich wieder auf die Kiste. »Ich finde, Jewgeni hat einen gerechten Preis für die freie Welt gezahlt.« Tatiana blickte ihn an. »Hat er auch einen gerechten Preis für den Sozialismus in unserem Land bezahlt?«, fragte sie leise. »Öh, jetzt hör aber auf!«, rief Alexander. »Du willst doch nicht etwa Peter den Großen mit Stalin vergleichen.« »Beantworte meine Frage.«
    Alexander sprang wieder von der Kiste hinunter. »Er wendet zwar Gewalt an, Tatiana, aber für eine freie Welt! Nicht für die Sklaverei. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Es ist der Unterschied zwischen Sterben für Hitler und Sterben, um ihn aufzuhalten. «
    »Aber auf jeden Fall sterben , nicht wahr, Shura?«, sagte Tatiana und trat auf ihn zu. »Auf jeden Fall sterben.« »Ich sterbe gleich auch, wenn ich nicht endlich was zu essen bekomme«, murrte Alexander.
    »Es dauert nicht mehr lange.« Tatiana schob den Kuchen in den Ofen und wusch sich dann Hände und Gesicht im Wassereimer. Sie richtete sich auf, blickte Alexander an und sagte: »Jetzt haben wir fünfundvierzig Minuten Zeit. Was möchtest du tun? Nein, warte. Vergiss es. Na gut, aber können wir vielleicht zuerst die Kiste sauber machen? Sieh doch, ich bin ganz voller Mehl. Das gefällt dir, was? Oh, Shura, du bist unersättlich. Wir können doch nicht die ganze Zeit ...« »Ich weiß, dass du mir einfach nur widersprechen wolltest«, sagte Tatiana zu Alexander, als sie draußen in der Dämmerung saßen und ihren Kohlkuchen mit Tomatensalat und Schwarzbrot und Butter aßen. »Ich weiß, dass es für dich aufs Gleiche herauskommt, für Hitler oder für Stalin zu sterben.« Alexander schluckte seinen Bissen hinunter. »Ja, das stimmt, aber zu sterben, um Hitler aufzuhalten, ist doch etwas anderes. Ich bin Amerikas Verbündeter. Ich kämpfe auf der Seite der Amerikaner.« Er nickte heftig. »Und ich nehme diesen Kampf auf mich.«
    Tatiana blickte auf den Kohlkuchen. »Ich fürchte, er war nicht lange genug im Ofen«, stellte sie fest.
    »Es ist neun Uhr abends. Vor vier Stunden hätte ich ihn am liebsten roh gegessen.«
    Tatiana nahm den

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