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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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fünfzehn Blocks lang war. Nachdem sie drei dieser Blocks passiert hatte, erreichte sie die Bushaltestelle. An der Bushaltestelle wartete Alexander auf sie. Als sie ihn erkannte, begannen ihre Augen zu leuchten. Sie blieb einen Moment lang stehen und griff sich ans Herz. Er lächelte ihr zu und errötend ging sie ihm entgegen. Er hielt seine Offiziersmütze in der Hand. Tatiana wünschte, sie hätte sich das Gesicht gründlicher gewaschen.
    In ihrem Kopf wirbelten so viele Gedanken durcheinander, dass sie nicht in der Lage war, sich ungehemmt mit ihm zu unterhalten. »Was tust du hier?«, wagte sie schließlich schüchtern zu fragen.
    »Wir sind im Krieg mit Deutschland«, sagte Alexander. »Ich sollte also gleich zur Sache kommen.«
    »Oh«, erwiderte Tatiana.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
    »Danke.«
    »Hast du heute Abend etwas Besonderes vor?«
    »Ich weiß nicht ... Heute ist Montag, da werden alle müde sein. Es gibt ein Abendessen und etwas zu trinken.«
    Sie seufzte. In einer anderen Welt hätte sie ihn vielleicht an ihrem Geburtstag zum Abendessen eingeladen, aber nicht in dieser Welt.
    Sie verharrten stumm nebeneinander. Um sie herum erblickte Tatiana lauter bekümmerte Gesichter. Sie selbst war ganz und gar nicht trübsinnig, aber sie fragte sich, ob sie normalerweise wohl auch so aussah, wenn sie auf den Bus wartete.
    Werde ich den Rest meines Lebens so aussehen?
    Und dann fiel ihr wieder ein, dass Krieg war. Wie wird der Rest
    meines Lebens überhaupt aussehen »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
    »Dein Vater hat mir gestern erzählt, dass du bei Kirow arbeitest, und da habe ich mir gedacht, dass du vielleicht mit dem Bus nach Hause fährst.« Sie errötete.
    Der Bus Nummer 20 kam und hatte noch Platz für zwei Dutzend Leute. Drei Dutzend quetschten sich hinein. Alexander und Tatiana blieben unschlüssig draußen stehen. »Komm, lass uns zu Fuß gehen«, sagte Alexander schließlich und ergriff sanft ihren Arm. »Wohin?«
    »Zu dir nach Hause. Ich möchte mit dir reden.«
    Sie blickte ihn zweifelnd an. »Mein Zuhause ist acht Kilometer von hier entfernt.« Sie sah auf ihre Füße.
    »Hast du denn heute bequeme Schuhe an?« Er lächelte.
    »Ja, danke«, erwiderte sie und verfluchte sich innerlich wegen ihrer mädchenhaften Verlegenheit.
    »Weißt du was? Wir laufen bis zur Goworowa Ulitsa und nehmen von dort die Straßenbahn Nummer eins«, schlug er vor. »Kannst du einen Block weit laufen? Wir nehmen einfach die Straßenbahn.«
    Tatiana überlegte. »Ich glaube nicht, dass eine Straßenbahn bis zu mir nach Hause fährt«, entgegnete sie schließlich. »Nein, das nicht, aber du kannst am Warschauer Bahnhof in die Sechzehn umsteigen, die bis zur Ecke Grecheskij und Fünfte Sowjet fährt, oder du kannst mit mir in die Zwei umsteigen, die in der Nähe meiner Kaserne und am Russischen Museum hält.« Er schwieg. »Oder wir können ganz zu Fuß gehen.« »Ich laufe keine acht Kilometer«, sagte Tatiana. »Ganz gleich, wie bequem meine Schuhe sind. Lass uns zur Straßenbahn gehen.« Sie wusste schon jetzt, dass sie nicht an irgendeinem Bahnhof aussteigen und eine weitere Straßenbahn nach Hause nehmen würde.
    Als die Bahn auch nach zwanzig Minuten noch nicht gekommen war, erklärte sich Tatiana damit einverstanden, ein paar Kilometer bis zu einer Haltestelle der Linie Nummer sechzehn zu laufen. Die Goworowa mündete in der Ulitsa Skapina und schlängelte sich dann Richtung Norden bis zum Ufer des Obvodnoj-Kanals.
    Tatiana wäre am liebsten gar nicht mit der Straßenbahn gefahren. Sie wollte auch nicht, dass Alexander in seine Linie einstieg. Sie wollte einfach mit ihm an dem Kanal entlanglaufen. Wie sollte sie ihm das nur verständlich machen? Ständig suchte sie nach den richtigen Worten, und weil sie die nicht fand, schwieg sie lieber - eine Eigenart, die ihr von anderen oft als Schüchternheit oder Arroganz ausgelegt wurde. Dascha hatte dieses Problem nie. Sie sagte einfach, was ihr gerade in den Sinn kam.
    Tatiana wusste, dass sie ihrer inneren Stimme mehr Vertrauen schenken sollte. Sie war deutlich genug. Sie wollte Alexander gern nach Dascha fragen. Aber er begann: »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Du hältst mich vielleicht für anmaßend, aber ...« Er brach ab. »Wenn ich dich für anmaßend halte, dann bist du es vielleicht auch«, erwiderte Tatiana sanft. Er schwieg. »Sag es mir trotzdem.«
    »Du musst deinem Vater sagen, Tatiana, dass er deinen Bruder aus

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