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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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»Genosse Oberst, Sie sind ein guter Mann und Sie waren sein Vorgesetzter. Bitte sagen Sie mir, was passiert ist.«
    »Ich weiß es nicht. Ich war nicht dabei.« Der Oberst seufzte. »Ich weiß nur, dass das Panzerfahrzeug, in dem Ihr Mann, Leutnant Uspenskij, ein Feldwebel und zwei Fahrer saßen, heute Morgen unter feindlichem Beschuss explodiert und gesunken ist.« »Panzerfahrzeug? Er hat mir gesagt, er führe nach Wolkow, um befördert zu werden«, flüsterte sie.
    »Schwester Metanowa«, erwiderte Oberst Stepanow, »der Wagen ist gesunken. Alles andere ist doch gleichgültig.« Tatiana blickte ihn unverwandt an. Stepanow nickte. »Es tut mir Leid. Ihr Mann war ...« »Ich weiß, was er war, Genosse Oberst«, unterbrach ihn Tatiana. Sie hielt die Mütze und den Totenschein an die Brust gedrückt.
    Mit bebender Stimme antwortete der Oberst: »Ja. Wir beide wissen es.« Schweigend standen sie voreinander. »Tatiana!«, sagte Stepanow schließlich aufgewühlt. »Gehen Sie so bald wie möglich mit Dr. Sayers zurück. In Leningrad ist es für Sie leichter und sicherer. Oder vielleicht nach Molotow? Gehen Sie!«
    »Er hat Ihren Sohn zurückgebracht«, flüsterte Tatiana.
    Stepanow sah zu Boden.
    »Und wer wird ihn zurückbringen?«
    Sie sank in den Schnee. Der Oberst hob sie auf und tätschelte ihr unbeholfen den Rücken. Tatiana zog ihren Mantel eng um sich und taumelte zurück zum Lazarett. Die ganze Zeit über hatte sie ihn verbergen müssen, vor Dascha, vor Dimitri, vor dem Tod und jetzt sogar vor sich selbst. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr weiterleben zu können. Sie lief zu Dr. Sayers, der in seinem kleinen Büro saß, und flehte ihn an: »Doktor, sehen Sie mich an, sehen Sie mir in die Augen und schwören Sie, dass er tot ist.«
    Dr. Sayers ergriff ihre Hand. »Ich schwöre es. Er ist tot.« Aber er sah sie nicht an.
    »Ich kann es nicht glauben. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass er ohne mich gestorben ist. Verstehen Sie das? Ich kann es nicht ertragen ...« Ihr Flüstern klang herzzerreißend. »Sagen Sie mir, dass der NKWD ihn abgeholt hat, sagen Sie mir, dass sie ihn verhaftet und in die Ukraine oder nach Sibirien verschleppt haben - aber bitte sagen Sie nicht, dass er ohne mich gestorben ist. Alles kann ich ertragen, nur das nicht. Wenn Sie mir die Wahrheit sagen, gehe ich mit Ihnen, ich verspreche es, aber bitte, bitte, sagen Sie mir die Wahrheit.« »Es tut mir Leid«, erwiderte Dr. Sayers. »Ich konnte ihn nicht retten. Es tut mir von ganzem Herzen Leid, dass ich ihn nicht für Sie retten konnte.«
    Tatiana hockte sich an die Wand und barg das Gesicht in den Händen. »Ich gehe nicht weg«, murmelte sie. »Das hat keinen Sinn.«
    »Tania! Bitte, meine Liebe, denken Sie doch auch an sein Kind!«
    Benommen starrte sie Sayers an. »Er hat Ihnen gesagt, dass ich schwanger bin?« »Ja.«
    »Warum?«
    Verlegen erwiderte der Arzt: »Ich weiß nicht.« Er legte die Hand auf ihren Kopf. » Sie sind ganz kalt. Wollen Sie hier bleiben? Bleiben Sie einfach in meinem Büro und warten Sie auf mich. Vielleicht können Sie ja ein wenig schlafen.« »Nein. Aber bitte gehen Sie. Ich muss allein sein.« Bis zum Abend saß sie auf dem Boden in Dr. Sayers' Büro, und als sie nicht mehr sitzen konnte, ließ sie sich zur Seite sinken, rollte sich zusammen und blieb bewegungslos liegen. Schließlich kam Sayers zurück. »Es ist Zeit, Tania. Wir fahren. Ich habe Ihren Rucksack geholt. Es ist doch Ihrer, oder?« »Ja«, erwiderte sie und stand auf. »Müssen Sie sonst noch etwas mitnehmen?« »Nein«, flüsterte Tatiana. »Mehr besitze ich nicht. Fahren wir beide allein?«
    Dr. Sayers erwiderte zögernd: »Chernenko ist heute zu mir gekommen und hat gefragt, ob wir unsere Pläne jetzt geändert hätten ...«
    Tatiana sank auf einen Stuhl. »Ich kann nicht in seiner Nähe sein«, sagte sie. »Es geht einfach nicht.«
    »Ich möchte ihn eigentlich auch nicht mitnehmen, aber was soll ich machen? Er hat behauptet, dass wir ohne ihn nicht durch den ersten Kontrollpunkt kämen. Ich will Sie von hier fortbringen, Tania. Was bleibt mir denn anderes übrig?« »Nichts«, erwiderte Tatiana gepresst.
    Sie trugen ihre Sachen nach draußen. Das Rotkreuzfahrzeug war ein großer Jeep mit verglaster Fahrerkabine und einer Plane über der Ladefläche. Nicht gerade das sicherste Transportmittel für Verwundete oder Ärzte, aber ein anderes Fahrzeug hatte in Helsinki nicht zur Verfügung gestanden und sie hatten keine Zeit zu warten. Die

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