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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Telefon zu Pascha durchgekommen, es geht ihm offenbar sehr gut ...« Sie brach ab. Auf einmal war sie zu traurig, um weiterzusprechen.
    So langsam sie konnten, gingen sie zur Haltestelle der Nummer 16. In der Bahn standen sie schweigend Arm an Arm, bis sie am Grecheskij-Krankenhaus angekommen waren.
    »Bis dann, Leutnant.« Sie hätte gern Shura gesagt, aber sie traute sich nicht.
    »Bis dann, Tatia«, erwiderte Alexander.
    Später an diesem Abend trafen sich Tatiana, Dascha, Alexander und Dimitri zum ersten Mal zu viert an der Fünften Sowjet und machten einen Spaziergang. Sie kauften Eiscreme und Bier, und Dascha hing an Alexanders Arm wie eine Klette. Tatiana hielt einen höflichen Abstand zu Dimitri und bemühte sich, nicht zu oft zu Alexander und Dascha hinüberzuschauen. Alexander wirkte so locker und zufrieden wie jeder Soldat, wenn er ein Mädchen wie Dascha im Arm hatte. Er sah Tatiana kaum an. Tatiana fragte sich, ob die beiden besser zueinander passten als sie und Alexander. Sie fand keine Antwort. Alles, was sie wusste, war, wie sie sich gefühlt hatte, als sie mit Alexander zusammen war. »Tania!« Dimitri redete mit ihr. »Entschuldigung, Dima. Was ist?«
    »Tania, ich habe dich gerade gefragt, ob du nicht auch findest, dass Alexander mich von der Infanterie irgendwo anders hin versetzen sollte. Vielleicht zu den motorisierten Einheiten ...« »Geht das denn? Musst du denn bei den motorisierten Einheiten nicht Panzer fahren können?« Alexander lächelte. Dimitri sagte nichts. »Tania!«, rief Dascha aus. »Was weißt du denn darüber, was man bei den motorisierten Einheiten können muss? Halt lieber den Mund! Alex, wirst du auch über Flüsse hinweg stürmen und den Feind stellen?« Sie kicherte.
    »Nein«, sagte Dimitri. »Zuerst schickt er mich vor. Um sicherzugehen, dass ihm nichts passiert. Erst dann geht er selbst. Und wird wieder befördert. Stimmt's, Alexander?« »So in der Art, Dima«, erwiderte Alexander, der neben ihm herging.
    Tatiana konnte kaum zuhören. Sie konnte es kaum ertragen, Dascha so nahe an Alexanders Seite zu sehen. Und was hatte Alexander gerade gesagt?
    »Tania!«, rief Dimitri schon wieder. »Tania, hörst du mir überhaupt zu?«
    »Ja, natürlich«, erwiderte sie. Warum musste er nur ständig so laut reden?
    »Du kommst mir so abwesend vor!«
    »Nein, überhaupt nicht. Es ist ein schöner Abend, nicht wahr?«
    »Möchtest du dich bei mir einhängen? Du siehst so aus, als würdest du gleich zusammenbrechen.«
    Dascha warf Tatiana einen lieblosen Blick zu und sagte: »Pass auf, gleich fällt sie wieder mal in Ohnmacht.« Als Tatiana an diesem Abend im Bett lag, zog sie sich die Decke über den Kopf und tat so, als schliefe sie sofort ein. Als Dascha neben ihr ins Bett schlüpfte, rüttelte sie Tatiana an der Schulter und flüsterte: »Tania, Tania, schläfst du schon? Tania?« Doch Tatiana wollte mit Dascha keine Vertraulichkeiten im Dunkeln austauschen. Sie wollte nur einmal seinen Namen laut sagen können. Shura.

    Am Freitag stellte Tatiana fest, dass fast niemand mehr bei Kirow arbeitete. Es waren lediglich noch die ganz Jungen und die Alten da. Die wenigen verbliebenen Männer waren alle über sechzig oder in leitenden Positionen.
    In den ersten fünf Tagen des Kriegs hatte es verdächtig wenig Nachrichten von der Front gegeben. Im Radio wurden zwar ständig sowjetische Siege verkündet, aber es drangen keinerlei Informationen über die militärische Stärke der Deutschen oder über ihre Position in der Sowjetunion durch. Es war auch keine Rede von einer Gefahr für Leningrad oder gar von einer drohenden Evakuierung. Das Radio lief den ganzen Tag über, während Tatiana dickflüssiges Petroleum und Nitrozellulose in ihre Flammenwerfer füllte. Durch die offenen Doppeltüren konnte sie die Metall verarbeitende Maschine sehen, die Hülsen unterschiedlicher Größe auf das Fließband schüttete. Tatiana konnte an nichts anderes als an den Feierabend denken. Sehnsüchtig wartete sie darauf, dass es endlich sieben Uhr wurde.
    In der Mittagspause wurde im Radio bekannt gegeben, dass ab der kommenden Woche wahrscheinlich die Lebensmittel rationiert würden. Zur gleichen Zeit teilte Krasenko dem schwindenden Grüppchen der Arbeiter mit, dass sie ab Montag vermutlich militärische Übungen machen müssten und dass die Arbeitszeit bis acht Uhr abends verlängert würde. Bevor Tatiana die Fabrik verließ, schrubbte sie sich zehn Minuten lang die Hände, um den Petroleumgeruch

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