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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Uniform.
    »Das ist die schönste Zeit, Tatiana«, sagte Alexander. »Willst du wissen, warum?«
    »Ja.«
    »So eine Zeit wird es nie wieder geben. So einfach, so unkompliziert ...«
    »Nennst du das unkompliziert?« Tatiana schüttelte den Kopf. »Natürlich.« Alexander schwieg. »Wir sind einfach nur Freunde, die miteinander in der lichten Dämmerung durch Leningrad spazieren.«
    Sie trennten sich an der Fontanka-Brücke. »Ich habe um zehn Uhr Wache«, sagte er. »Sonst würde ich dich nach Hause bringen ...«
    »Nein, nein, ist schon in Ordnung. Mach dir keine Sorgen. Danke fürs Essen.«
    Es war ihr nicht möglich, Alexander anzuschauen. Sie blickte auf seine Uniformknöpfe.
    Er räusperte sich. »Erzähl mir schnell noch, was sie zu dir sagen, wenn sie dich nicht Tatiana oder Tania nennen wollen?«
    Ihr Herz machte einen Satz. »Wer sie?« Alexander schwieg.
    Tatiana entfernte sich ein paar Schritte von ihm, dann drehte sie sich wieder um. Sie wollte nur noch einmal in sein wundervolles Gesicht sehen. »Manchmal nennen sie mich Tatia.« Er lächelte. »Du bist wunderschön, Tatia«, sagte Alexander. »Nicht...«, sagte sie unhörbar. Ihre Beine gaben nach. »Wenn du willst, kannst du mich Shura nennen«, rief er ihr nach.
    Shura! Das war ein wunderschöner Kosename. Ich würde dich schrecklich gern Shura nennen, hätte sie am liebsten geantwortet. »Wer nennt dich denn Shura?« »Niemand«, erwiderte Alexander und winkte ihr nach. Tatiana ging nicht nach Hause, sie flog. Ihr wuchsen leuchtend rote Flügel und mit ihrer Hilfe schwebte sie durch den Leningrader Abendhimmel. Als sie sich jedoch ihrem Haus näherte, stiegen Schuldgefühle in ihr auf und die Flügel verschwanden. Sie band sich die Haare zusammen und vergewisserte sich, dass die Bücher ganz unten in ihrer Tasche lagen. Eine Zeit lang blieb sie noch unten an der Treppe stehen und presste die Fäuste an die Brust.
    Dascha saß am Esstisch und neben ihr hockte überraschenderweise Dimitri.
    »Wir warten schon seit drei Stunden auf dich«, nörgelte Dascha. »Wo bist du gewesen?«
    Tatiana fragte sich, ob sie wohl riechen konnten, dass sie neben Alexander durch Leningrad gegangen war. Roch sie nach dem duftenden Sommerjasmin, nach der Sonne auf ihren bloßen Armen, nach Wodka, Kaviar und Schokolade? Konnten sie sehen, dass sie mehr Sommersprossen auf der Nase bekommen hatte? Ich bin unter den Lichtern des Nordpols spazieren gegangen. Ich habe mein Gesicht in der Sonne gewärmt. Sahen sie all das in ihren Augen?
    »Es tut mir Leid, dass ihr warten musstet. Wir müssen momentan bis spätabends arbeiten.«
    »Hast du Hunger?«, fragte Dascha. »Babuschka hat Koteletts und Kartoffelpüree gemacht. Komm, iss was.«
    »Ich bin nicht hungrig, ich bin nur müde. Dima, entschuldigst du mich bitte?«, bat Tatiana und ging hinaus, um sich zu waschen.
    Dimitri blieb noch zwei Stunden. Als die Großeltern um elf in ihr Zimmer wollten, gingen Dascha, Dimitri und Tatiana noch aufs Dach und saßen dort bis weit nach Mitternacht im schwindenden Licht. Tatiana konnte nicht viel sagen. Dimitri war freundlich und gesprächig. Er zeigte den beiden Mädchen die Blasen in seiner Hand. Er hatte zwei volle Tage lang Gräben ausgehoben. Tatiana merkte, dass er sie verstohlen anblickte, Augenkontakt suchte und lächelte, wenn sie ihn ansah. »Dima, bist du eigentlich sehr eng mit Alexander befreundet?«, erkundigte sich Dascha.
    »Ja, Alexander und ich kennen uns schon sehr lange«, erwiderte Dimitri. »Wir sind wie Brüder.«
    Tatiana blinzelte, um sich auf Dimitris Worte zu konzentrieren. Lieber Gott , betete Tatiana, als sie sich später im Bett zur Wand gedreht hatte, wenn es dich wirklich gibt, dann hilf mir zu verbergen, was ich niemals zeigen darf.

    Den ganzen Donnerstag über dachte Tatiana an Alexander, während sie an den Flammenwerfern arbeitete. Und nach der Arbeit wartete er auf sie. Dieses Mal fragte sie nicht, warum er gekommen war. Und er erklärte auch nichts. Er hatte keine Geschenke dabei und auch keine Fragen. Er war einfach da. Sie redeten kaum, nur ihre Arme berührten sich, und einmal, als die Straßenbahn kreischend zum Halten kam, verlor Tatiana das Gleichgewicht und Alexander legte ihr schützend den Arm um die Taille.
    »Dascha hat mich gebeten, heute Abend vorbeizukommen«, sagte er leise.
    »Oh, das ist schön«, erwiderte Tatiana. »Meine Eltern freuen sich bestimmt, dich wiederzusehen. Sie waren heute Morgen sehr gut gelaunt. Gestern ist Mama am

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