Die Liebenden von Leningrad
dunklen Bartstoppeln und hätte ihn am liebsten gefragt, ob er jemals sauber rasiert war. Um seinen Mund herum waren die Stoppeln am ausgeprägtesten und die dunklen Schatten betonten seinen schönen Mund. »Alexander ... sprichst du eigentlich noch englisch?« »Ja. Ich spreche englisch. Ich kann es allerdings nur noch selten anwenden, seitdem meine Eltern ...« Er brach ab. Tatiana murmelte: »Es tut mir Leid, ich wollte nicht ... Ich wollte nur wissen, ob du noch ein paar Worte weißt, die du mir beibringen könntest.«
Alexanders Augen strahlten sie so fröhlich an, dass Tatiana das Gefühl hatte, alles Blut aus ihrem Körper müsse in ihre Wangen strömen. »Welche Worte soll ich dir denn auf Englisch beibringen, Tania?«, fragte er langsam.
Aus Angst zu stottern antwortete Tatiana nicht gleich. »Ich weiß nicht«, brachte sie schließlich hervor. »Wie wäre es mit >Wodka«
»Oh, das ist einfach«, erwiderte er lachend. »Das heißt >Wodka<.«
Alexander hatte ein schönes Lachen, ein aufrichtiges, tiefes, männliches Lachen, das ansteckte. Er ergriff die Wodkaflasche und schraubte sie auf. »Worauf sollen wir trinken?«, fragte er und hob die Flasche. »Es ist dein Geburtstag - also trinken wir auf dich. Auf deinen Geburtstag nächstes Jahr. Salut. Hoffentlich wird er schön.«
»Danke. Darauf trinke ich auch einen Schluck«, sagte sie und griff nach der Flasche. »Ich möchte gern meinen nächsten Geburtstag wieder mit Pascha zusammen feiern.« Alexander blickte auf den Saturn. »Eine andere Umgebung wäre für unser Picknick besser gewesen, findest du nicht auch?«, sagte er. »Mir bleibt das Essen im Hals stecken, wenn ich sehe, wie Saturn eines seiner Kinder verschlingt.« »Wo hättest du denn sonst gern gesessen?«, fragte Tatiana. »Ich weiß nicht. Vielleicht dort drüben neben Marc Aurel.« Er blickte sich um. »Glaubst du, es gibt auch eine Statue von Aphro...«
»Können wir gehen?« Tatiana stand abrupt auf. »Ich möchte mich nach all dem Essen ein bisschen bewegen.« Was tat sie eigentlich hier?
Als sie aus dem Park in Richtung Fluss gingen, hätte Tatiana gern gefragt, ob man ihn jemals anders als bei seinem richtigen Namen gerufen hatte, aber sie schwieg. Der abendliche Spaziergang am Flussufer entlang war schon wunderbar, da musste sie nicht auch noch nach Alexanders Kosenamen fragen. »Möchtest du dich noch einmal setzen?«, fragte Alexander. »Nein danke, mir geht es gut«, erwiderte Tatiana. »Es sei denn, du möchtest dich setzen.«
»Ja, das wäre schön. Komm, setzen wir uns noch etwas hin.«
Sie ließen sich auf einer der Bänke an der Newa nieder. Auf der anderen Seite des Flusses sah man die goldene Kuppel der Peter-Paul-Kathedrale. Alexander nahm fast die halbe Bank ein. Er hatte die Beine gespreizt und die Arme über die Rückenlehne gelegt. Tatiana achtete sorgfältig darauf, dass ihr Bein das seine nicht berührte.
Alexander strahlte Sorglosigkeit und Selbstbewusstsein aus. Er bewegte sich mit einer Lässigkeit, als ob ihm überhaupt nicht klar sei, welche Wirkung er auf eine schüchterne Siebzehnjährige hatte.
Ich weiß, wer ich bin, sagte er mit jeder Bewegung seines Körpers.
Tatiana hatte vergessen zu atmen. Jetzt holte sie tief Luft und blickte auf die Newa.
»Ich liebe es, auf diesen Fluss zu schauen«, sagte Alexander leise. »Vor allem in den weißen Nächten. In Amerika gibt es so etwas nicht, weißt du.« »Vielleicht in Alaska?«
»Vielleicht«, erwiderte er. »Aber das hier - der Fluss, die Stadt an seinen Ufern, die Sonne, die hinter der Leningrader Universität untergeht und vor Peter und Paul aufgeht...« Kopfschüttelnd brach er ab. Sie schwiegen.
»Wie hat es Puschkin in Der eherne Reiter gesagt?«, fragte Alexander. »>Wo, dass nicht decken dunkle Schatten der Himmel goldgetönte Pracht ...<« Wieder brach er ab. »Den Rest bekomme ich nicht mehr zusammen.«
Aber Tatiana kannte Der eherne Reiter auswendig. Sie fuhr fort: »>Sich Abendrot und Frührot galten und kaum ein Stündchen bleibt der Nacht ...<«
Alexander sah sie an. »Tania ... woher hast du eigentlich so viele Sommersprossen?«, fragte er leise.
»Ich ärgere mich auch darüber. Es liegt an der Sonne«, erwiderte sie errötend und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle sie die Sommersprossen wegwischen. Bitte, sieh mich nicht so an, dachte sie.
»Und was ist mit deinen blonden Haaren?«, fuhr er genauso leise fort. »Ist da auch die Sonne schuld, dass sie so hell
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