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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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saß ein Armeehelm. Er erkannte weder die Kleider, die sie trug, noch den Helm, aber er wusste sofort, dass sie es war. Es war unverkennbar ihre zarte Gestalt, die er so oft aufmerksam betrachtet hatte. »Tatia ...«, flüsterte er ungläubig.
    Er schob die restlichen Balken und Leichen fort und drehte sie um. Im gelben Schein der Kerosinlampen wirkte sie wie tot, aber sie war nur bewusstlos. Sie stöhnte. Er hatte die ganze Zeit über ihr Stöhnen gehört.
    Ihre Kleider, ihre Haare, ihre Schuhe und ihr Gesicht waren mit Staub und Blut bedeckt. »Tania, werd wach«, flehte er, kniete sich neben sie und rieb ihre Wange. Sie war warm. Das war ein gutes Zeichen.
    »Ist das die Tania?«, erkundigte sich Kaschnikow. Alexander antwortete nicht. Er überlegte, wie er sie am besten hochheben konnte, denn er vermochte nicht zu erkennen, wo sie verletzt war.
    »Ich glaube, sie stirbt«, sagte Kaschnikow. »Ach, sind Sie vielleicht Arzt?«, schnappte Alexander. »Sie stirbt nicht! Hören Sie auf, so zu reden! Bleiben Sie mit den Männern hier, um die Schienen frei zu räumen. Sie brauchen Ihre Hilfe. Ich gebe Ihnen das Kommando, Feldwebel! Danach fahren Sie so schnell wie möglich nach Leningrad zurück. Verstehen Sie mich? Schaffen Sie das? Wir haben den anderen unsere Waffen und acht von unseren Männern gegeben und ich habe Tania gefunden. Unsere Mission in Luga ist beendet. Also beeilen Sie sich!« Vorsichtig hob er Tatianas schlaffen Körper hoch. Sie stöhnte immer noch. »Was ist mit den Verwundeten, Leutnant?« »Hören Sie noch irgendwelche Geräusche? Sie haben ja noch nicht einmal ihr Stöhnen gehört und jetzt machen Sie sich auf einmal Sorgen? Die anderen sind tot. Überprüfen Sie es doch selbst, wenn Sie wollen! Ich bringe Tania zum Sanitäter.« »Soll ich mit Ihnen kommen? Sie braucht eine Trage«, sagte Kaschnikow. < »Nein«, erwiderte Alexander. »Ich trage sie.«
    Gegen elf Uhr am Abend traf Alexander mit Tatiana auf den Armen im Lager ein und suchte nach dem Sanitäter. Er fand jedoch nur dessen Assistenten, Michail, der in einem der Zelte schlief.
    »Der Sanitäter ist tot«, sagte Michail. »Eine Splitterbombe hat ihn in zwei Teile gerissen.«
    »Gibt es noch einen anderen Sanitäter?«
    »Nein«, erwiderte Michail. »Ich mache die Arbeit.«
    »Dann tun Sie was!«
    Der Assistent warf einen Blick auf Tatianas blutgetränkte Kleider und sagte: »Sie hat zu viel Blut verloren. Lassen Sie sie draußen.« Er legte sich wieder auf sein Feldbett. »Sie hat nicht viel Blut verloren«, widersprach Alexander. »Ich glaube nicht, dass es ihr Blut ist.« Offensichtlich wollte der Mann seine Ruhe haben, aber Alexander ließ nicht locker. »Bei der Dunkelheit ist es schwer zu sagen«, behauptete Michail. »Wenn sie morgen früh noch lebt, schaue ich sie mir an.« Alexander rührte sich nicht von der Stelle. »Obergefreiter, Sie sehen sie sich jetzt an!«, befahl er.
    Michail setzte sich seufzend auf. »Leutnant, es ist schon zu spät.«
    »Zu spät wofür? Haben Sie ein Laken oder ein Bett für sie?« »Ein Bett? Was glauben Sie, was das hier ist? Ein Hotel? Ich hole Ihnen ein Laken.«
    Michail legte ein weißes Laken auf die Erde. Alexander kniete sich hin und ließ Tatiana vorsichtig zu Boden gleiten. Michail untersuchte sie gründlich. Als er ihr Bein hob, wurde Tatianas Stöhnen lauter.
    »Ah«, sagte Michail. »Haben Sie ein Messer?« Alexander reichte ihm seins.
    Tatiana trug eine lange Hose und Michail schnitt beide Hosenbeine auf. Ihr rechter Knöchel und das Schienbein waren schwarz und angeschwollen. »Gebrochenes Schienbein«, stellte der Sanitäter fest. »Es ist allerdings ein komplizierter Bruch, an mehreren Stellen. Ich sehe mir das Mädchen mal gründlich an.« Er knöpfe ihre Bluse auf, zerschnitt ihr weißes Unterhemd und tastete ihren Brustkorb und ihren Bauch ab.
    Tatianas schmächtiger Körper war von Blutflecken übersät.
    Alexander hätte am liebsten den Blick abgewandt.
    Michail seufzte. »Ich kann nicht erkennen, ob es ihr Blut ist oder nicht. Aus dem Bein blutet sie jedenfalls nicht.« Er berührte ihren Bauch. »Sie hatten Recht. Sie fühlt sich nicht kalt an.«
    Alexander trat schweigend einen Schritt zurück.
    »Sehen Sie hier? Sie hat drei gebrochene Rippen auf der rechten Seite. Wo haben Sie sie gefunden?«
    »Im Bahnhof von Luga. Unter Schutt und Leichen.«
    »Nun, das erklärt alles. Sie hat Glück gehabt, dass sie am Leben geblieben ist.« Michail stand auf. »Im Lazarettzelt habe

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