Die Liebenden von Sotschi
Über ihr Gesicht lief ein Zucken. »Mein Gott – Boris! Du bist hier!«
Bubrow hatte sie erreicht, preßte sie an sich, küßte Wangen und Augenlider, es war erschütternd zu sehen, wie seine grauen Augen sich mit Tränen füllten.
»Ich – ich habe dir doch gesagt, ich komme zu dir!« stotterte Bubrow. »Sie können mich nicht festhalten, nicht einsperren. Es war kein Leben ohne dich, Irina. Ich habe etwas ganz Schreckliches getan, um bei dir zu sein …«
»Das Motiv dürfte ja nun wohl klar sein«, sagte der BND-Mann gemütlich. »Ein dicker Hund: Kidnapping aus Liebe! Politisch ist da nichts drin, meine Herren. Das ist schlicht und einfach eine kriminelle Handlung!«
Es dauerte noch drei Stunden, bis man Boris Alexandrowitsch freiließ; er mußte erst die Vernehmungsprotokolle lesen und unterschreiben. Irene Walther bürgte dafür, daß er ab sofort bei ihr einen festen Wohnsitz hatte. Er blieb unter polizeilicher Kontrolle und erhielt eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Das bayerische Innenministerium würde sich nun überlegen müssen, mit welcher Begründung der sowjetische Protest zurückzuweisen wäre. Als Irene Walther und Bubrow das Präsidium verließen, war die Presse informiert. Die Fotoapparate klickten, Mikrofone wurden ihnen vor den Mund gehalten. Irene schüttelte den Kopf, aber Bubrow, freundlich wie immer, jungenhaft glücklich, den Arm um Irenes Taille gelegt, sagte unbefangen:
»Ja, ich habe ein Flugzeug entführt. Ich wollte zu Irina. Nein, keine anderen Motive! Ich liebe Irina – ist das nicht genug? Hätte man mir erlaubt, zu fahren – es wäre alles nicht passiert. Ich bin glücklich, in Deutschland zu sein. Alles liebe Menschen hier.«
»Das wird sich ändern«, sagte einer der Reporter trocken. »Warten Sie nur ab.«
In Irenes Golf fuhren sie dann schnell weg, hinaus zum Wörthsee, nach Steinebach. Dr. Ewingk hatte Irene in Anbetracht der Lage für die nächsten Tage freigegeben.
»Verstecken Sie sich«, hatte er gesagt. »Sie werden keine Minute Ruhe haben. In zwei Wochen ist der Dampf raus, aber bis dahin sollten sie mit Ihrem Boris untertauchen. Das mit der Polizeikontrolle regeln wir vom Ministerium aus.«
In Steinebach packte Irene schnell einen kleinen Koffer, während Bubrow am Fenster der Wohnung stand, über den See hinüber zu den Bergen blickte und wie ein kleiner, beschenkter Junge aussah.
»Wie schön«, sagte er immer wieder. »Wie schön!«
Am Abend waren sie bereits in einer kleinen Pension in Reit im Winkl und nannten sich Heinemann. Bubrow trug einen künstlichen Schnurrbart, und Irene hatte sich eine blonde Perücke aufgesetzt. Bei einem Fotovergleich hätte man sie nicht erkannt.
In den Spätnachrichten hörten sie die Meldung von der Flugzeugentführung aus Liebe. Sie saßen im Fernsehraum der Pension, lächelten sich verstohlen an, und ihre Herzen wurden schwer vor Sehnsucht, wenn sie an die nahe Nacht dachten.
Die Zeitungen des nächsten Tages waren voll von der ›Flucht aus Liebe‹.
Da politisch nichts zu vermerken war, konzentrierte man sich auf das Ausreiseverbot und geißelte wieder einmal die ›Unmenschlichkeit des sowjetischen Systems‹. ›Liebe darf nicht bestraft werden!‹ schrieb eine Zeitung und gab damit die Stimmung von Millionen Lesern wieder. ›Man sollte Märchen, wenn sie in unserer Zeit wahr werden, nicht behördlich zerstören. Bubrow ist kein Verbrecher. Er ist der moderne Prinz, der die Dornenhecke durchbrochen hat, um zu seiner Prinzessin zu kommen.‹
In Moskau saßen Oberst Ussatjuk und General Butajew von GRU wieder im Zimmer der Abteilung II des KGB und tranken mit freudigen Mienen eine Flasche Krimsekt. General Nasarow saß beleidigt etwas abseits. Er war vor fünf Minuten gekommen, nachdem auch er endlich die volle Wahrheit erfahren hatte.
»Die westdeutsche Presse ist hervorragend!« sagte Ussatjuk zufrieden. »Der gute Boris Alexandrowitsch hat sie überzeugt, und nun ist sie mit einer geradezu rührenden Geschichte voll eingestiegen. Der Liebesheld! Diesen Heiligenschein wird er nie wieder los. Was will man noch mehr?! Eine Meisterleistung! Zum erstenmal haben wir einen Mann ohne Tarnkappe drüben! Die Idee mit der Flugzeugentführung war einmalig, unbezahlbar!«
»Und wer hat die Idee mit dem Flugzeug gehabt?« fragte General Nasarow.
»Bubrow selbst!« Ussatjuk rieb sich die Hände. »Boris Alexandrowitsch ist einer meiner besten Männer.« Er sah hinüber zu General Butajew vom GRU. »Als uns Victor
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