Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
kreuzten auch andere Promis als die aus der Kulturszene ihren Weg. Einmal war sie mitten in der Nacht im Hotel Bristol in Oslo aus einem Alptraum hochgefahren, so plötzlich, dass sie den Mann geweckt hatte, der neben ihr lag.
Sie hatte ihn lange gemustert und versucht, die Decke an sich zu ziehen, was nicht ging, da er sie im Schlaf festhielt und ständig in die Gegenrichtung zog, mit zerzausten Haaren und verwirrtem Blick.
»Ich dachte, ich hätte den Fernseher ausgeschaltet«, sagte sie zu sich.
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Irgendwann glaubte sie, gar nicht mehr auf ältere Männer zu stehen. Sie wollte sie immer jünger und straffer und ausdauernder. Junge Männer hatten glattrasierte, seidenweiche Pornomurmeln, waren am Oberarm tätowiert, und sie hatten einen iPod, den sie überall herumliegen ließen, gern auf dem Badezimmerboden, während sie duschten, iPods waren offenbar wasserdicht.
Als sie anfing, sich ernsthaft Sorgen um ihre sexuelle Regression zu machen, lernte sie glücklicherweise den Shell-Mann kennen, einen uralten Kerl, der mehrere Tankstellen in Møre besaß. Er war weit über fünfzig, und sie hatte ihn per E-Mail gefragt, ob er Viagra brauche, um in Fahrt zu kommen. Er stritt es energisch ab.
Und es stimmte. Er gab ihr den Glauben zurück, in sexueller Hinsicht nicht von dem abzuweichen, was als »normal« bewertet wurde. Dennoch geriet sie beim Anblick junger Männer ständig in Versuchung. Auch stellten diese ihre Bilder immer gleich ins Netz, sie musste nicht extra danach fragen. Und die jungen Kerle lehnten ältere Frauen durchaus nicht ab, sie wussten aus Erfahrung, dass Mädchen ihres Alters lange nicht so freizügig waren wie erfahrene Frauen.
Zum Aufreißen hielt sie sich an die üblichen Netforen. Ab und zu versuchte sie es auch auf MILF , aber sie antwortete nie den Jungs, die sich dort herumtrieben. Letztendlich war ihr dort alles zu konkret und taktlos, zu sehr Porno. Außerdem identifizierte sie sich nicht mit den Frauen, die sich dort fotografieren ließen, dazu war sie eigentlich noch zu jung.
In den gängigen Foren wimmelte es nur so von jungen Männern. Sie füllten ihr Profil nicht mit Floskeln über idiotische Ausflüge in Wald und Wiese oder damit, dass sie den Kilimandscharo und den Mount Everest bestiegen hatten. Sie prahlten nicht damit, nur maßvoll Alkohol zu konsumieren, und faselten nicht irgendetwas über exotische Länder, die sie bereits bereist hatten oder noch gern besuchen würden. Auch gaben sie nicht damit an, was für ein großes Boot oder welchen leistungsstarken Torschlusspanikkubikmotor sie fuhren, wie es die älteren Kandidaten gerne taten. Am wenigsten gefiel es Ingunn, wenn ältere Männer im Intro lang und breit beschrieben, wie oft sie in der Woche trainierten. Sie nannten konkrete Zahlen für ihre Trainingsgewohnheiten, sie fand das jämmerlich. Wollten sie damit sexuelle Leistungsfähigkeit andeuten? Etwas über ihr Aussehen sagen? Oder über mutmaßliche Lebensdauer und niedrigere Versicherungsprämien?
Die jungen Männer hingegen wussten genau, was sie wollten. Das war den Bildern im Netz anzusehen, dem Blick und dem angedeuteten Lächeln. Meist waren es amateurhafte MMS -Bilder, mit dem Handy und ausgestrecktem Arm aufgenommen, oft im Badezimmer, wo das Licht das beste war. Sie sahen ganz einfach geil aus. Sie sahen aus, als würden sie in der nächsten Sekunde in jemanden eindringen, glücklich, erwartungsvoll, furchtlos und zum Bersten mit Sperma gefüllt; unsterblich, mit ihren jungen Körpern und Flüssigkeiten: Schweiß, Sperma, Speichel. Sie wollten nur genießen und sich leeren, sie schienen einer anderen Spezies anzugehören als ältere Männer, jedenfalls kamen sie von einem Planeten in einem anderen Sonnensystem. In den Intros fassten sie sich ziemlich kurz, und wenn sie mit etwas protzten, dann mit ihrem Sinn für Humor und ihrer Freude am Ausgehen, solchen Dingen. Sie selbst hatte für die Dating-Plattform einen nüchternen Introtext:
Fröhliches Mädchen in den besten Jahren (38 :–)) möchte sich amüsieren. Ein Flirt, der vielleicht noch mehr werden kann? Arbeite mit Medien und habe keine Angst vor Laken.
Das mit der nicht vorhandenen Angst vor Bettlaken war der Net-Zensur nicht aufgefallen, obwohl der Hinweis deutlich war. Aber da sie kein Bild in ihr Profil einfügte, war sie für die Zensur vermutlich nicht so interessant.
Sie wurde mit Anfragen von jungen Männern geradezu bombardiert.
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Der Shell-Mann hatte sich auch nicht mit
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