Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
Kaugummi, und er hatte ein dunkelbraunes Lederband mit kleinen weißen Muscheln um den Hals. Er war viel größer als sie, das hatte sie vorher schon gewusst, er war eins neunundachtzig, das stand in seinem Profil im Netz. Er hatte einen braunen Teint, wie so viele von der Küste, an der vor einigen Jahrhunderten schiffbrüchige spanische Seeleute gestrandet waren und ihren Samen großzügig verteilt hatten.
»Ich glaube, ich muss was trinken«, sagte er, ohne sie anzusehen, und warf seine Lederjacke über das Geländer der Treppe, die zum Dachboden führte. Die Art, wie er seine Jacke wegwarf, gefiel ihr, und sie verzieh ihm die ungeschickte Umarmung.
»Aber klar doch. Bestimmt hast du auch Hunger? Komm.«
Er saß an ihrem Esstisch, während sie zwei Frikadellen und Zwiebeln briet, er saß da mit einer Bierflasche und trank drei Gammel Dansk hintereinander.
»Machst du so was oft?«, fragte er und musste nach dem dritten die Luft anhalten.
»Und du? Fährst du oft nachts fünf Stunden, um zu ficken?«, fragte sie und kehrte ihm den Rücken zu, fast wären die Zwiebeln angebrannt.
Als sie beide losprusteten, wusste sie, dass das hier gut werden würde, sehr gut, vielleicht eins der besseren Erlebnisse. Sie setzte sich ihm gegenüber, während er aß, kippte auch drei Gammel Dansk hinunter und trank einen Schluck aus seiner Bierflasche. Ihr Morgenrock ließ einen großzügigen Blick auf ihr Dekolleté zu, er grinste, während er dabei die Frikadelle in Scheiben schnitt, auf eine Scheibe Brot legte und sich den Bissen in den Mund stopfte. Er kaute gierig und eilig, kaute jeden Bissen nicht sehr oft. Als er aufgegessen hatte, brachte er Teller und Besteck zum Spülbecken. Sie beobachtete ihn dabei und stellte sich ihn nackt vor.
»Ich muss erst duschen«, sagte er. »Bin doch stundenlang gefahren und ganz schön verschwitzt.«
Sie zeigte ihm das Badezimmer, holte ihm ein Handtuch, legte sich ins Bett und wartete.
Wenn wieder einmal so eine heiße Datingphase endete und sie auch niemanden mehr liebte, dachte sie gern voller Verwunderung an solche Erlebnisse zurück, mit einer Verwunderung, als gehe es um eine Fremde, auch wenn sie nur zu gut wusste, dass es lediglich eine Frage der Zeit war, bis sie wieder zu dieser Frau werden würde – und sie freute sich schon darauf. Kontraste, alles war eine Frage der Kontraste: Am einen Tag war sie total fickgeil, am nächsten gab sie sich mit Vibrator und Handbrause zufrieden. Wenn es soweit war, löschte sie in allen Netforen ihr Profil. Sobald sie dann das nächste Mal auf die Suche ging, dachte sie sich einen neuen Namen aus, der jedoch immer mit M anfing. Sie hieß Mona, Maja, Mariana, Marianne, Mette, Mandy, Molly, Martine. M-Namen waren erotisch aufgeladene Namen, kein Mann fuhr auf eine Ingunn oder eine Sara oder eine Herbjørg oder eine Oddveig ab.
17
Wenn endlich Frieden einkehrte, räumte sie ihre Wohnung auf, wusch die Küchenschränke aus und reinigte den Audi von innen, egal, welche Jahreszeit gerade war. Sie legte dann eine Verlängerungsschnur durch das Kellerfenster und hantierte mit einer Menge Hilfsmitteln in Spraydosen und Flaschen, die allesamt die Lebenszeit des Vinyl verlängern sollten und die Sitzbezüge wie neu aussehen ließen. Sie kostete den Frieden und das Alleinsein aus, spielte in leichtsinnigen Augenblicken mit dem Gedanken, lesbisch zu werden, hielt das für unendlich viel weniger kompliziert, ohne aber wirklich eine Ahnung zu haben.
Sie führte Selbstgespräche, war guter Dinge und sichtlich erleichtert, schalt sich wegen dummer Kleinigkeiten aus, fluchte auf Englisch, sagte »fuck«, wenn ihr etwas auf den Boden fiel, und fühlte sich jung. Sie sah sich ihr Spiegelbild in Schaufenstern an, saß allein mit Stapeln von Zeitungen, einem Café au lait und einem Brownie in Cafés, bezahlte online ihre Rechnungen für jene Dinge, die nur sie ganz allein verbrauchte, hörte dabei im Wohnzimmer laut Musik, alles von Sinatra zu Grace Jones, wusch den Küchenventilator mit Salmiakwasser, bestückte – falls Frühling oder Sommer war – das Kaminzimmer mit brennenden Teelichtern und machte ein Feuer im Herbst oder Winter. Sie kannte diese Phasen gut, und es beruhigte sie. Sie hatte die Methode und ihre Belohnung dafür verinnerlicht.
Tief verinnerlicht.
Nun hatte sie auch wieder genug Kraft, um im Bus mit wildfremden Menschen idiotische Gespräche zu führen oder mit Taxifahrern über die Ausländerpolitik und Trondheims öffentlichen
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