Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
lange Jahre, von denen jedes aus dreihundertfünfundsechzig Tagen bestand.
»Ich verstehe nicht, wieso du weiter mit ihm verheiratet sein willst«, sagte sie und lachte auf eine Weise, die sie für ein wenig freundinnenhaft hielt, um das Gespräch nicht abbrechen zu lassen.
»Ich kann mir keine Scheidung leisten. Und ich will ja auch nicht. Eines Tages wird er begreifen, dass wir zusammengehören, er wird es ruhiger angehen lassen, und dann können wir zusammen alt werden.«
»Du kannst doch allein leben. Allein leben ist schön«, sagte sie.
»Ich trau mich nicht.«
»Du traust dich nicht?«
»Nein.«
»Ein paar One-Night-Stands würden dir sicher guttun. Mit einem jungen knackigen Typen.«
»Hör doch auf. So eine bin ich nicht.«
»Aber gefällt es dir denn, wenn du mit deinem Jan-Guillou-Mann schläfst? Ist das dann so, als ob die Erde bebt und du den Mond und die Sterne siehst?«
»Was ist denn das für eine Frage? Du bist wirklich nicht grundlos Journalistin geworden …«
»Ist es nun so oder nicht?«
»Das nicht gerade. Du musst aber auch immer über Orgasmus reden.«
»Nicht nur«, antwortete sie. »Herrgott, die Zeitungen quellen über von Artikeln über Orgasmus und Sex, und wir, wir leben schließlich in …«
»Bei Adressa ist das nun mal kein so großes Thema. In Eva Mohns Spalte vielleicht noch.«
»Das liegt daran, dass Dagbladet und Verdens Gang ganze Titelseiten damit füllen. Und ich begreife nicht, wie du es aushältst, ein Jahr nach dem anderen ohne guten Sex zu leben. Der hält dich doch schließlich jung.«
»Ich bin vierundvierzig. Es ist zu spät.«
»Wenn du wüsstest …«
»Na, jedenfalls wirst du mich nicht dazu überreden können. So eine bin ich nun wirklich nicht.«
»Ich auch nicht, da kannst du ganz beruhigt sein. Aber du solltest dir einen Vibrator kaufen.«
20
Ihre Kolleginnen fanden es wunderbar, wenn sie ihre Vibrator-Erfahrungen zum Besten gab. Dann saßen sie kerzengerade da wie bei einer Dessous- und Dildoparty und starrten sie entgeistert an. Wenn sie auch nur eine davon überzeugen könnte, sich einen Vibrator zu bestellen, hätte sie eine gute Tat vollbracht.
»Es ist wichtig, jeden Tag zu kommen«, sagte sie. »Das ist so wichtig wie Fitness. Wie Liegestütze. Man kann auch den Duschkopf nehmen. Und Übung macht die Meisterin.«
»Klingt wie ein Pflichtprogramm, wenn du das so beschreibst.«
»Liegestütze machen ja wohl auch keinen Spaß, oder?«, fragte sie. »Ab und zu denke ich, heute habe ich keinen Bock, aber dann onaniere ich trotzdem. Und am Ende kriege ich doch eine ganz andere Belohnung als die Idioten, die bei ihren Liegestützen keuchen.«
»Wie lange brauchst du denn?«
»Kommt drauf an. Zwischen einer und fünf Minuten in etwa. Eigentlich brauche ich so gut wie nie mehr als fünf. Und danach fühl ich mich supertoll.«
»Du hörst dich total nymphoman an. Entschuldige, dass ich das sage.«
»Ich fühl mich aber ziemlich normal«, sagte sie.
»Und dass du mit so vielen verschiedenen … Hast du keine Angst davor, allein zu bleiben?«
»Allein? Wenn ich mit vielen zusammen bin? Die Frage versteh ich nun wirklich nicht.«
21
Die Beziehung, über die sie sich am meisten aufregte, obwohl es sie eigentlich nichts anging, war die Ehe der Literaturredakteurin Sigrid. Sigrid und ihr Mann hatten keine Kinder, sie hatten drei erfolglose Versuche mit künstlicher Befruchtung hinter sich und konnten die Vorstellung einer Adoption nicht ertragen. Sie teilten kaum noch den Alltag miteinander, blieben aber trotzdem verheiratet.
»Wir sehen uns vielleicht eine Stunde pro Tag. Und dann schlafen wir nachts nebeneinander. Ich hätte schon längst Schluss machen sollen, aber ein Tag folgt dem anderen, und gleichzeitig ist es auch ziemlich bequem für mich. Immer diese Trägheit nach der Arbeit. Das muss ich schon zugeben.«
Ihr Mann arbeitete als Krankenpfleger auf einer ziemlich harten Station in einer der schwierigsten psychiatrischen Kliniken des Landes, und auch er war nach der Arbeit erschöpft.
»Er kommt so gegen vier Uhr nach Hause, wir sitzen vielleicht eine halbe Stunde beim Essen zusammen, und dann geht er ins Bett. Er geht wirklich ins Bett, zieht sich aus, legt sich unter die Decke, schläft zwei Stunden, so bis halb sieben, während ich aufräume, auf dem Sofa liege und lese. Um halb sieben steht er auf, kocht sich eine Thermoskanne voll Kaffee, wir reden ein bisschen, dann sieht er sich im Fernsehzimmer die Nachrichten an – und
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