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Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Titel: Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B. Ragde
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Nahverkehr, der natürlich ein Skandal war, Meinungen auszutauschen. Sie hörte zu, antwortete durchdacht und voller Respekt, sie hatte die Ruhe dazu, sie war fertiggefickt und fertiggeliebt, ihr ganzes Herz war für jedermann offen, für den geschlechtslosen Jedermann. Außerdem wurde sie ungeheuer neugierig auf alles, was mit Zweierbeziehungen zu tun hatte, das Ganze erschien ihr als einziges großes Mysterium. Mit ihrem eigenen persönlichen Beziehungsrekord von elf Monaten war sie niemals in die Phase gekommen, über die sie so oft las und hörte – die Phase, in der die Zweierbeziehung zur Einsamkeit wird, in der Schweigen und das Ungesagte stärker werden und man nachts, obwohl man gemeinsam im Bett liegt, einsamer ist, als wenn man allein gewesen wäre.

18
    Da sie keine engen Freundinnen hatte, ließ sie sich von ihren Kolleginnen in der Zeitungsredaktion erzählen und verraten, was Frauen sich alles gefallen ließen, um einen Mann zu behalten. Das Sich-gefallen-Lassen hatte nichts mit Gewalttätigkeit zu tun, keineswegs. Nein, es ging vor allem um totale Langeweile und Belanglosigkeit. Fast alle Kolleginnen, mit denen sie eng zusammenarbeitete, lebten in langjährigen Beziehungen.
    Sie kam sich vor wie eine Voyeurin, die das Unbegreifliche sah. Sie konnte nicht fassen, was die anderen hinnahmen oder was sie von sich und einem Mann nicht verlangten. Bei den sogenannten Weinabenden in der Redaktion sprudelte es nur so aus ihnen heraus; die Weinabende für die Kolleginnen waren eine alte Tradition, der Versuch einer Art Netzwerk, der das geradezu angeborene Netzwerkchromosom der Männer ausgleichen sollte. Anja, die Sekretärin, war mit einem Krimiautor verheiratet, der sie wie ein Möbelstück behandelte.
    »Er vergisst immer unseren Hochzeitstag oder meinen Geburtstag, wenn ich ihn nicht daran erinnere. Ich vermute manchmal sogar, dass er mich nicht als eigenständige Person betrachtet.«
    »Er sieht in dir doch die Mutter seiner Kinder. Ihr seid immerhin schon achtzehn Jahre verheiratet.«
    »Und ich weiß, dass er mich in regelmäßigen Abständen hintergeht. Er weiß, dass ich das weiß. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass er mich nicht mehr respektiert. Er interessiert sich nur für die Jagd und für Autos und Schneemobilfahren. Und für die verdammten Bücher natürlich. Er ist total egozentrisch, wenn er schreibt, man kann es nicht mit ihm aushalten, er glaubt, dass das ganze Universum sich nur um ihn dreht.«
    »Wie war er denn am Anfang?«, fragte Ingunn.
    »Da hat er mich noch auf Händen getragen. Aber das hörte dann auf.«
    »Warum erträgst du dieses Leben? Das verstehe ich nicht«, sagte sie.
    »Er ist lieb. Und er ist witzig. Bei ihm ist immer viel los. Ich habe viel Spaß, wenn er Bücher vorstellt und so. Und wenn er zu Buchvorstellungen ins Ausland eingeladen wird. Ab und zu. Dann habe ich das Gefühl, dass ich ihm wichtig bin, weil ich mich um sein Gepäck, die Tickets und die Termine und so etwas kümmere.«
    »Dann hast du das Gefühl, dass du ihm wichtig bist?«
    »Ja.«
    Da Ingunn so scharf darauf war, Einblicke in die Beziehungen anderer zu erhalten, konnte sie plötzlich so übereifrig werden, dass die anderen sich zurückzogen, sie sexfixiert und monoman eingleisig nannten. Daher musste sie ein wenig vorsichtig sein, diplomatische Fragen stellen, damit die anderen nicht das Interesse verloren, sich ihr anzuvertrauen.
    »Überleg doch, was dir alles entgeht«, sagte sie darum.
    »Was mir entgeht …?«
    »Ja! Das Schöne daran, mit einem Mann Sex zu haben.«
    »Wir haben doch ab und zu Sex. Immerhin sind wir verheiratet.«
    »Wie oft denn?«
    »Kommt drauf an.«
    »Ob er gerade eine andere hat?«
    »Alle Beziehungen gehen doch irgendwann in die Brüche. Es hat keinen Zweck, etwas Neues zu versuchen. Man weiß, was man hat, und überhaupt … Ich brauche dir wirklich nicht leidzutun.«
    »Hör dir doch einmal selbst zu!«
    »Was?«
    »Du gibst dich also mit diesem Leben zufrieden?«
    »Jetzt mach mal halblang. Immerhin sprichst du von meinem Leben.«
    Ja, meines könnte das nie und nimmer sein, dachte Ingunn.

19
    Von ihrem Bürofenster aus sah sie auf die Auffahrt hinunter, wo Anja ab und zu von einem Mann in einem riesigen grauen Geländewagen abgeholt wurde, der es gerade noch über sich brachte, sein Tempo so lange zu drosseln, dass sie ins Auto springen konnte. Er sah sie nie an, schaute nur auf die Straße und in den Rückspiegel. Achtzehn Jahre mit diesem Mann. Achtzehn

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