Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
Sie kaufte noch dazu zwei Flaschen Rotwein, eine für Tonje und eine für Sigrid.
Sigrid brach in Tränen aus, als sie ihre bekam.
»Er hat doch eine andere«, sagte sie. »Er hat mich belogen.«
»Hat er es dir selbst gesagt?«
»Jemand hat ihn gesehen. Der Sohn einer Freundin. Sie haben vor einer roten Ampel im Auto geknutscht. Ich hab ihn angerufen und gefragt, ob es stimmt, und es stimmt. Seine Stimme klang so froh, als er sagte, dass es stimmt. Es ist eine Arbeitskollegin. Sie ist drei Jahre älter als ich.«
»Bist du jetzt nicht wütend, Sigrid?«
»Das schaff ich nicht. Ich hab nur Sehnsucht nach ihm. Und denke daran, dass sie jetzt zusammen sind.«
»Versuch doch … denk daran zurück, wie ihr in verschiedenen Zimmern gesessen habt, Abend für Abend, und nie etwas gemeinsam unternommen habt.«
»Das kann ich nicht. Noch nicht. Es ist so erbärmlich, so pathetisch, ich könnte kotzen. Ich schäme mich so. Komme mir vor wie eine Idiotin.«
84
Am Freitag saß Alex in der Kantine, als sie hereinkam. Er sah kurz hoch, dann wandte er den Blick ab. Sie holte sich einen Geflügelsalat und eine Fanta Free und ging zurück in ihr Büro, ihre Hände waren schweißnass, und ihr fiel die Gabel auf den Boden, als sie den ersten Bissen nehmen wollte. Sie wischte die Gabel am Hosenbein ab, obwohl der Boden ganz sauber war, und dachte, dass sie das mit den Lautsprechern noch immer nicht überprüft hatte. Sie glaubte, dass B & O den Verstärker in die Lautsprecher integriert hatte, der deshalb nur das Signal benötigte, und damit das, was aus dem Verstärker kam, nicht gesplittet oder verringert oder wie immer zum Teufel das nun hieß, werden musste. Sie hatte viel weniger Ahnung von Hi-Fi und Sound, als sie es Alex gegenüber zugegeben hatte. Eigentlich wusste sie nichts, von nichts. Von dem Salat brachte sie nur zwei Bissen herunter. Und die fällige Inspektion für den Audi hatte sie auch noch nicht in die Wege geleitet.
»Kann ich nicht irgendwohin fahren?«, fragte sie Andreas.
»Und was stellt die Lady sich da so vor?«
»Wie wäre es mit New York? Stargate?«
»Wir haben doch einen Haufen über sie geschrieben, als sie den Emmy bekommen haben.«
»Britney Spears? Nachsehen, wie es ihr geht, der Armen?«
»Und was hat das mit der Stadt Trondheim und unserer Zeitung zu tun, wenn ich fragen darf?«
»Herrgott, wir schreiben doch über so viele Dinge, die nichts mit Trondheim zu tun haben.«
»Sag mal, wie geht’s dir eigentlich im Moment so? Du machst einen unglaublich gestressten Eindruck.«
»Ich habe Ratten«, entgegnete sie.
»Was? Wohnst du nicht im dritten Stock?«
»Die kommen durch die Abflussrohre.«
»Drei Stockwerke hoch? Unmöglich.«
»Doch. Ich muss einen schweren Stein auf den Klodeckel legen, wenn ich den zuklappe. Deshalb bin ich so gestresst.«
»Und was passiert, wenn sie hochkommen, wenn du da sitzt?«
»Ich hab immer einen Eimer Wasser neben mir stehen, und den kippe ich dann ins Klo, ehe ich den Deckel zumache und den Stein darauflege.«
»Du spinnst doch.«
»Stimmt. Deshalb arbeite ich ja auch hier.«
85
Sie duschte und wusch sich die Haare, machte sich aber nicht schön, zog nur Jeans und ein frisch gebügeltes weißes Hemd an, das sie aber sofort wieder auszog, weil ihre Brustwarzen durch den Stoff zu sehen waren, sie musste darunter einen BH anziehen. Sie zitterte dermaßen, als sie sich ein Glas Weißwein einschenkte, dass sie beide Hände nehmen musste.
Keine Mail, kein Anruf, die ganze Woche nicht, aber sie musste Emma zuliebe hinfahren, für Emma, die ihre Mutter umgebracht hatte. Mörderin im Alter von einer Sekunde, nicht länger als man brauchte, um mit sonnenbraunen Fingern in der Luft zu schnippen. Sie legte U2 ein, um neue Energie zu gewinnen, fluchte aber, als sie feststellte, dass die Scheibe natürlich mit Where the streets have no name anfing, sie hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr Joshua Tree gehörte, sie suchte sich stattdessen Vertigo heraus, überlegte sich die Sache aber anders und legte Green Day ein.
Er hätte eine Mail schicken können. Irgendeine Floskel wie bis heute Abend oder so.
Das hätte sie allerdings auch tun können. Sie würde bald die Weißweinmarke wechseln müssen, sie hatte Tariquet satt, total satt, was zum Teufel machte sie eigentlich, aber sie könnte gehen, ehe Emma schlafen ging, die würde wahrscheinlich länger aufbleiben dürfen, weil Freitagabend war, sie könnte sagen, dass sie nach einer langen Woche müde
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