Die Liebesbloedigkeit
wird von diesem laufend betrogen. Ich höre diesen Geschichten mit mäßigem Interesse zu, muß allerdings zugeben, daß sie mich in eine lebenszugewandte Stimmung versetzen, die ich, wenn ich allein bin, nicht so ohne weiteres zustande bringe. Nach zehn Minuten lache auch ich über die Schwulen und ihren merkwürdigen Zwang, so gut wie täglich über ihr Intimleben zu reden. Nach dem Essen nimmt Sandra ihr Dessert-Tellerchen (mit einer Portion Cassata) und geht ins Zimmer nebenan. Sie will im Fernsehen einen Film über Mischehen sehen. Sie ruft mir zu, ich solle neben ihr Platz nehmen. Tatsächlich schaue ich mir den Film über Mischehen an, obwohl mich das Problem sowenig interessiert wie die Eifersucht schwuler Männer. Doch mein Unwille bleibt unerheblich. Nach dem Mischehen-Film will Sandra auch noch einen Film über brasilianische Kinderbanden sehen. Das wird mir zuviel. Ich sage, daß ich mich schon mal nebenan ins Schlafzimmer begebe. Sandra ist über diese Abendgestaltung nicht beunruhigt, sie ist zwischen uns seit langer Zeit eingespielt. Im Grunde weiß ich bis heute nicht, wie man mit einem vertrauten Menschen einen ganzen Abend verbringt. Ich verberge meine Ratlosigkeit, indem ich mich dem von Sandra eingeführten Schema unterwerfe. Sandra krault mir liebevoll die Kniekehlen und sagt, daß sie gleich nachkommen wird. Nach weniger als fünf Minuten habe ich mir die Zähne geputzt und liege im Bett.
Sandra lebt in einer Altbauwohnung, und in ihrem Schlafzimmer befindet sich neben der Tür ein wuchtiges Waschbecken. Es stammt aus der Zeit, als die meisten Wohnungen noch kein eigenes Badezimmer hatten. Sandra fühlt sich durch den Anblick des Waschbeckens gestört, aber der Hausbesitzer duldet seine Entfernung nicht. Sandra hat wenig Verständnis für die Eigentümlichkeiten von Wohnungen. Sie schimpft, weil die Küche nicht genauso warm wird wie das Wohnzimmer, weil die Balkontür klemmt und weil die Toilettenspülung zu langsam ist. Der Gedanke, daß Wohnungen genauso fehlerhaft sind wie Menschen und daß man ihr Ungenügen deswegen tolerieren muß, ist Sandra fremd. Ich neige dazu, mich an Mängel zu gewöhnen. Es macht mir Vergnügen, die Analogien zwischen den Mängeln der Dinge und den Mängeln der Menschen fortlaufend zu beobachten. Sandra gegenüber muß ich verschweigen, daß ich das Waschbecken in ihrem Schlafzimmer sogar für eine Bereicherung halte. Morgens und abends kann ich Sandra vom Bett aus dabei zuschauen, wie sie sich wäscht. Immer wieder wundere ich mich, daß sie sich obenrum zart, untenrum jedoch mit heftigen, ja stoßartigen Bewegungen zu Leibe rückt. Durch die beiden Waschvorgänge fällt die Person für den Betrachter gewissermaßen auseinander. Ich kann sagen, obenrum wäscht sie sich wie eine junge, untenrum wie eine ältere Frau. Wobei ich mir nicht erklären kann, wie die Verlaufsbilder es schaffen, die Person beziehungsweise die Lebensalter so deutlich zu trennen. Nebenan wird der Fernsehapparat abgeschaltet. Sandra vergewissert sich, daß ich noch nicht eingeschlafen bin, und wäscht sich flüchtig. Wir sind in einem Alter, in dem man manchmal vögelt, um hinterher schnell einschlafen zu können. Vergleichsweise häufig sind wir zusammen, um Sandras Ängstlichkeiten zu zerstreuen. Sie fürchtet, nicht mehr begehrenswert zu sein. Aus diesem Grund ist sie fast immer beischlafwillig. Mit zwei zärtlich überprüfenden Handgriffen überzeugt sich Sandra wenig später, daß ich geschlechtsbereit bin, und nimmt die Brückenhaltung ein. Ich knie mich hinter sie, Sandra sinkt mit dem Kopf in die Kissen. Eine Minute lang haben wir keine Probleme, dann greift ein schmerzhafter Krampf in mein linkes Bein und zwingt mich, mich von Sandra zu lösen. Ich verlasse das Bett, verlagere das Körpergewicht auf das verkrampfte Bein und gehe mit durchgedrückten Knien eine Weile im Schlafzimmer umher. Sandra läßt ihren Körper flach auf das Bett absacken. Nach einer halben Minute läßt der Schmerz nach, verschwindet aber nicht ganz. Sandra schaut mir wortlos zu, dann stemmt sie ihren Körper in die Brückenstellung zurück. Es rührt mich, wie offen Sandra zeigt, daß sie mit einer Fortsetzung des Beischlafs rechnet. Aber meine Stimmung ist dahin, außerdem fürchte ich eine Wiederkehr des Krampfs. In diesen Augenblicken wirft sich Sandra ihr Nachthemd über. Ich soll mich mit dem Bauch auf das Bett legen, sagt sie. Ich folge ihr. Sandra setzt sich auf den Bettrand und massiert mir die Waden
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