Die Liebesfalle
hatte er so viele Münder auf einmal offen stehen sehen. Sogar die kleine, blauäugige, zerzauste Kiki machte ein Gesicht, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Er würde ihnen allen zeigen, dass er nicht der berechenbare, hölzerne Kerl war, für den sie ihn alle hielten.
Er setzte sich hin und stieß sich ab.
Ihm fiel auf, dass Celeste keineswegs verblüfft aussah. Sie schaute ihm zu … nein, sie beobachtete ihn. Wenn sie eine Spionin war, dann war sie eine ausgezeichnete. Sie brachte ihn dazu, Dinge zu tun, von denen er nicht ahnte, dass er sie tun wollte.
Er hatte vergessen, wie schön es war, zu schaukeln. Er hatte jahrelang nicht daran gedacht. Der sanfte Schwung trug ihn rückwärts bis in die Äste. Der aufregende Sturzflug und dann der Vorwärtsschwung, der, wenn er sich ins Zeug legte, kurz die Aussicht über den Hügelkamm freigab auf die Ebene und den mäandernden Fluss.
Dann wieder ein atemberaubender Fall, bis das Seil und das Brett ihn auffingen und zurück ins Geäst trugen.
Er würde eine zweite Schaukel bauen lassen, genau neben diese hier.
Er schaukelte auf und ab, lehnte sich so weit zurück, dass die Zweige sein Haar streiften und er durch das Laub den Himmel sah.
Celeste hatte Recht, niemand sollte eine Schaukel teilen müssen. Aber eins hatte auch sie nicht bedacht: zu zweit war es noch viel lustiger. Er sah förmlich ihr Lachen, sah ihre Röcke fliegen, wie sie im Rhythmus der Schaukel auf und ab schwang.
Wie eine Welle im Meer, wie ein Vogel im Wind, segelte er hinauf und senkte sich wieder hinab. Er stieß seine Beine nach vorn und nach hinten. Er fühlte die fliegenden Haare auf seinem Gesicht und hörte entfernt das Gemurmel von Stimmen. Das war Freiheit – Freiheit von der Arbeit, der Familie, der Pflicht. Er wollte nie wieder aufhören zu schaukeln.
Keiner, niemand sollte je eine Schaukel teilen müssen.
Er warf im Vorwärtsschwung einen Blick auf die Menge und sah einen nüchtern gekleideten Gentleman am Rande stehen.
Seine Freude zerstob wie im Nichts.
Die Pflicht rief.
Sie war es nicht.
»Wo ist sie?«, lallte Ellery entrüstet und viel zu laut.
»Pscht.« Throckmorton legte sich Ellerys Arm um die Schultern. »Du weckst die Gäste.«
Nicht Celeste war die Spionin, sondern Stanhope, der Mann, den Throckmorton für seinen Freund gehalten hatte. Stanhope hatte Informationen über britische Truppenbewegungen auf dem indischen Subkontinent verkauft und damit englische Soldaten getötet, als habe er sie mit eigener Hand erstochen.
»Wo ist meine süße, kleine Celeste?« Ellery unterbrach seine Wanderung über den langen, schummrigen Korridor im Erdgeschoss. Er packte Throckmorton an den Schultern und starrte seinen Bruder verschwommen an. »Die Dienstboten haben gesagt, ihr Schlafzimmer wäre hier. Also, wo ist sie?«
Ellerys Brandyfahne warf Throckmorton fast um, und er dankte den Sternen, dass er noch im Büro zu tun gehabt hatte, wo er den betrunkenen Ellery Celestes Namen hatte rufen hören. »Celeste schläft heute Nacht im Kinderzimmer und passt auf die Mädchen auf.«
Throckmorton würde sich eben Jenes Stanhope bedienen, um den entstandenen Schaden zu beheben – und zwar so bald wie möglich.
Was ihm ganz augenscheinlich nur eine einzige Möglichkeit übrig ließ.
»Ich habe sie schon tagelang nicht mehr gesehen.« Ellery runzelte die Stirn mit dem Pathos des Mannes, der zu tief ins Glas geschaut hatte. »Meine süße, kleine Petunie.«
»Nur
einen
Tag, alles in allem«, stellte Throckmorton richtig. »Und derjenige, der sich in seinem Zimmer verkrochen hat, warst du.«
»Ich bin hässlich.«
»Du siehst blendend aus, und das weißt du genau.«
»Ich bin blau.«
Throckmorton bugsierte Ellery zu einem der Nachtleuchter und sah ihn sich an. »Die Farbe scheint zu verblassen.« Was in gewisser Hinsicht nur zu dumm war. »Genau betrachtet, bist du ziemlich rosig.«
»Gewaschen.« Ellery holte stammelnd Luft. »Ganz oft.«
»Reinlichkeit ist die Tochter der Göttlichkeit, mein junge.« Throckmorton hievte sich wieder den Arm seines Bruders über die Schultern. »Wenn du aus deinem Zimmer herauskommst, kannst du treffen, wen du willst. Vorzugsweise deine Verlobte.«
Nicht aber Celeste – Celeste, die Throckmorton zunächst einmal mit gefälschten Informationen über die englische Strategie versorgen würde. Dann würde er den Anschein erwecken, er sei wirklich in sie verliebt. Sie in Bettgeflüster verwickeln. Gezielte Indiskretionen
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