Die Liebeshandlung
Präsidenten war, würde Madeleine es als Fingerzeig verstehen, die Idee einer universitären Zukunft endgültig aufzugeben.) Aber sie nahm nicht an, dass sie ans Baxter gehen würde. Sie betete, dass sie nicht ans Baxter musste. Mit diesem Ziel begann sie wiederfür die Zulassungsprüfung zu lernen, in der Hoffnung, ihre Punktzahl in Mathe und Logik zu verbessern. Um sich auf den Test in englischsprachiger Literatur vorzubereiten, füllte sie ihre Lücken, indem sie das
Oxford Book of English Verse
von vorn bis hinten las.
Aber mit nichts davon – weder mit dem Schreiben noch mit dem Lesen – kam sie aus dem einfachen, unabweislichen Grund, dass ihre Verpflichtung gegenüber Leonard Vorrang hatte, so recht vom Fleck. Jetzt, auf Cape Cod, hatte er vor Ort keinen Therapeuten, mit dem er reden konnte. Er musste sich mit einer Telefontherapie begnügen, einmal pro Woche mit Bryce Ellis aus Providence. Zusätzlich konsultierte er einen neuen Psychiater, Dr. Perlmann vom Massachusetts General Hospital, zu dem er aber keinen guten Draht hatte. Unter dem Druck, im Labor leistungsfähig zu sein, begann Leonard, wenn er abends ins Apartment zurückgekehrt war, Madeleine von seinen Schwierigkeiten zu erzählen. Er behandelte sie wie den nächstbesten Therapieersatz. «Heute habe ich wie ein Verrückter gezittert. Mit meinem Tremor kann ich kaum noch Medien ansetzen. Dauernd fällt mir etwas runter. Vorhin habe ich einen Kolben fallen lassen. Agarbrühe überall. Ich weiß, was Kilimnik denkt. Er denkt: ‹Warum haben sie diesem Typen bloß ein Stipendium gegeben?›»
Leonard hielt seine Krankheit in Pilgrim Lake geheim. Er wusste aus Erfahrung, dass die Leute anders mit ihm umgingen, wenn sie herausfanden, dass er in der Psychiatrie gewesen war und, vor allem, zweimal am Tag ein Medikament nahm, das seine Stimmung stabilisieren sollte. Manche schrieben ihn ab oder mieden ihn. Madeleine hatte versprochen, es niemandem zu erzählen, aber im August, in New York, hatte sie es Kelly Traub gestanden. Unter strengsterGeheimhaltung natürlich, aber Kelly würde es unvermeidlich mindestens einem Menschen weitersagen, unter strengster Geheimhaltung natürlich, der es einem anderen weitersagen würde und so weiter und so fort, bis Leonards Zustand Allgemeinwissen war.
Madeleine konnte sich darüber jetzt keine Gedanken machen. Das einzig Wichtige an diesem Oktobertag, an dem sie auf das Kleinflugzeug wartete, das Phyllida und Alwyn aus Boston bringen sollte, war, dass sie
diese beiden
daran hinderte, es herauszufinden. Alwyns Ehekrise würde die Aufmerksamkeit, hoffentlich, von ihrer eigenen Beziehung ablenken, aber um ganz sicherzugehen, wollte Madeleine das persönliche Gespräch ihrer Familie mit Leonard so kurz wie möglich halten.
Der winzige Flughafen bestand aus einer einzigen Rollbahn und einem wellblechhüttenartigen Terminal. Draußen, im herbstlichen Sonnenschein, wartete ein Grüppchen von Leuten, die entweder schwatzten oder auf der Suche nach dem ankommenden Flugzeug in den Himmel sahen.
Zum Empfang ihrer Mutter hatte Madeleine khakifarbene Leinenshorts, eine weiße Bluse und einen marineblauen Pullover mit weiß umrandetem V-Ausschnitt angezogen. Es hatte sein Gutes, nicht mehr auf dem College zu sein – und auf Cape Cod, nicht weit von Hyannis Port, zu leben –, denn jetzt gab es nichts mehr, was Madeleine davon abhielt, sich in dem Kennedy’schen Stil zu kleiden, in dem sie sich am wohlsten fühlte. Ihre Versuche, auf Bohème zu machen, waren sowieso immer gescheitert. Im zweiten Studienjahr hatte sie sich ein neonblaues Satin-Bowlinghemd mit dem Designernamen «Mel» auf der Brusttasche gekauft und war damit zu Partys in Mitchells Wohnung gegangen. Aber sie musste es wohl einmal zu oft getragen haben, denn eines Abendsverzog er das Gesicht und sagte: «O Mann. Was ist das eigentlich, dein Künstlerhemd?»
«Wie meinst du das?»
«Na ja, wenn du mit mir und meinen Freunden feierst, kommst du jedes Mal in diesem Bowlinghemd.»
«Larry hat doch genauso eins», verteidigte sich Madeleine.
«Stimmt schon, aber seins ist ganz verlottert. Deins sieht so perfekt aus. Wie das Bowlinghemd Ludwigs XIV. Da sollte nicht ‹Mel›, sondern ‹Sonnenkönig› auf der Tasche stehen.»
Bei der Erinnerung lächelte Madeleine in sich hinein. Inzwischen war Mitchell in Frankreich oder Spanien oder wo auch immer. Der Abend, an dem sie ihm in New York in die Arme gelaufen war, hatte damit begonnen, dass Kelly Traub
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