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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Am Morgen des Abreisetags tauschten die drei Adressen und Telefonnummern aus, küssten sich dreimal auf die Wange und versprachen, in Kontakt zu bleiben.
    «Wer weiß, vielleicht landen wir ja eines Tages alle an derselben Fakultät!», flachste Anne.
    «Ich glaube kaum, dass irgendjemand drei Viktorianerinnen auf einmal haben will», sagte Meg nüchtern.
    Auf dem Rückweg nach Cape Cod und noch Tage später überkam Madeleine ein regelrechter Glücksrausch, sobald sie daran dachte, dass Meg Jones sie alle «Viktorianerinnen» genannt hatte. Das Wort konkretisierte ihre krausen Vorstellungen plötzlich. Sie hatte nie ein Wort für das gehabt, was sie werden wollte. An einer Raststätte steckte sie vier Quarters in ein Münztelefon, um ihre Eltern in Prettybrook anzurufen.
    «Daddy, ich weiß jetzt, was ich werden will.»
    «Und zwar?»
    «Eine Viktorianerin! Ich komme gerade von einer unglaublichen Tagung!»
    «Musst du dich denn schon spezialisieren? Du hast doch noch nicht mal mit dem Master angefangen.»
    «Egal, Daddy, das ist es. Ich weiß es! Das ist so ein weites und offenes Feld.»
    «Sieh zu, dass du erst mal irgendwo einen Studienplatz bekommst», sagte Alton lachend. «Dann reden wir darüber.»
    Zurück in Pilgrim Lake, an ihrem Schreibtisch, versuchte sie sich an die Arbeit zu machen. Sie hatte die meisten, wenn nicht alle ihrer Lieblingsbücher mitgenommen. Die von Austen, Eliot, Wharton und James. Über Alton, der immer noch Beziehungen zur Bibliothek des Baxter College unterhielt, hatte sie sich einen Haufen Sekundärliteratur zu Werken der viktorianischen Ära mit dem Bonus einer langfristigen Ausleihe gesichert. Nachdem sie die erforderlichen Texte gelesen und sich weitere Notizen gemacht hatte, begann sie, ihre Jahresarbeit auf eine publizierbare Länge zu komprimieren. Ihre Schreibmaschine, eine alte Royal, war dieselbe, auf der sie am College getippt, und dieselbe, auf der Alton in
seiner
Collegezeit getippt hatte. Madeleine mochte die schwarze Stahlmaschine, aber das mit den Tasten wurde langsam problematisch. Manchmal, wenn sie schnell schrieb, blieben zwei oder drei Typenhebel aneinanderhängen und mussten mit den Fingern getrennt werden, was Madeleine neuen Aufschluss über die Bezeichnung
manuelle Schreibmaschine
gab. Jedes Losfummeln der verhakten Typenhebel, jeder Farbbandwechsel, all das hinterließ Tintenschmiere an den Händen. Das Innere der Royal war widerlich: eine Ansammlung von Staubklümpchen, Radiergummiabrieb, Papierschnitzeln, Kekskrümeln und Haar. Madeleine wunderte sich, dass das Ding überhaupt noch funktionierte. Einmal darauf aufmerksam geworden, wie schmutzig ihre Schreibmaschine war, wurde sie den Gedanken nicht mehr los. Es war wie der Versuch, im Gras zu schlafen, nachdem jemand Würmer erwähnt hatte. Die Royal zu säubern war allerdings nicht einfach. Sie wog einen Zentner. Egal, wie oft Madeleine es fertigbrachte, sie zum Spülbecken zu schleppen undumzudrehen, immer rieselte Müll heraus. War sie mit dem Ungetüm wieder am Schreibtisch, legte sie ein Blatt Papier in die Walze ein und wollte weiterarbeiten, aber über dem nagenden Gedanken, dass immer noch Dreck im Gehäuse war, und weil die Tasten dauernd feststeckten, vergaß sie, was sie gerade schreiben wollte. Und so trug sie das Ding wieder zum Spülbecken und kratzte den restlichen Unrat mit einer alten Zahnbürste heraus.
    Auf diese Weise versuchte Madeleine, eine Viktorianerin zu werden.
    Sie hoffte, ihren Aufsatz bis Dezember fertig zu bekommen, rechtzeitig, um ihn ihren Uni-Bewerbungen als schriftliche Arbeitsprobe beizufügen. Eine Zusage für den Abdruck in der
Janeite Review
würde ihr erlauben, den Beitrag mit dem Zusatz «erscheint in Kürze» in ihre Vita aufzunehmen, und ein zusätzlicher Segen sein. Wie vorherzusehen, hatte die Ablehnung von Yale – ähnlich der Zurückweisung durch einen Freund, von dem man gar nicht sicher ist, ob man ihn besonders mag – dessen Reiz wesentlich erhöht. Trotzdem würde sie nicht zu Hause hocken bleiben und auf einen Anruf warten. Diesmal würde sie sich keine Chance entgehen lassen und hatte außer mit Yale auch mit anderen geflirtet, dem reichen alten Harvard, dem urbanen Columbia, dem hirnlastigen Chicago und dem vertrauenswürdigen Michigan, ja sogar dem bescheidenen Baxter College hatte sie ein persönliches Gespräch eingeräumt. (Wenn Baxter sie nicht in seinen mittelmäßigen Literaturstudiengang aufnahm, obwohl sie die Tochter des ehemaligen

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