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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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erkrankt.
Vernunft und Gefühl
sei ursprünglich unter dem Titel
Elinore und Marianne
erschienen. Austen habe einmal den Heiratsantrag eines Mannes namens Bigg-Wither angenommen, es sich aber, nachdem sie darüber geschlafen habe, anders überlegt. Sie sei in der Kathedrale von Winchester begraben.
    «Hast du vor, in die Austen-Forschung einzusteigen?», fragte Anne Wong Madeleine.
    «Ich weiß nicht. Ein Kapitel meiner Abschlussarbeit handelt von ihr. Aber weißt du, wer mich auch reizen würde? Ist mir fast ein bisschen peinlich.»
    «Wer?»
    «Mrs.   Gaskell.»
    «Ich finde Mrs.   Gaskell wunderbar!», rief Anne Wong.
    «Mrs.   Gaskell?», sagte Meg Jones. «Ich muss erst mal überlegen, was ich dazu sagen soll.»
    Was Madeleine bei der Tagung spürte, war das Aufkommen einer neuen Wissenschaftlergeneration. Man sprach über all die von ihr so geliebten alten Bücher, aber auf eine andere Art. Es gab Themen wie «Frauen als Besitz im viktorianischen Roman», «Viktorianische Schriftstellerinnen und die Frauenfrage», «Masturbation in der viktorianischen Literatur» oder «Das Gefängnis der Weiblichkeit». Madeleine und Anne Wong hörten einen Vortrag von Terry Castle über «die unsichtbare Lesbierin» in der viktorianischen Literatur, und von ferne sahen sie Sandra Gilbert und Susan Gubar, die gerade aus einer brechend vollen Diskussionsveranstaltung über ihr Buch
Eine Verrückte auf dem Dachboden
kamen.
    Die Sache mit den Viktorianerinnen, erfuhr Madeleine, war die, dass sie viel weniger viktorianisch waren, als man glaubte. Frances Power Cobbe hatte offen mit einer anderen Frau zusammengelebt und von ihr als «meine Ehefrau» gesprochen. Im Jahr 1868 hatte sie im
Fraser’s Magazine
einen Artikel mit der Überschrift «Kriminelle, Idioten, Frauen und Minderjährige. Ist diese Einteilung vernünftig?» publiziert. Zu Beginn der viktorianischen Ära waren Frauen in Großbritannien vom Recht auf Besitz und Erbschaft ausgeschlossen. Sie waren von der Beteiligung am politischen Lebenausgeschlossen. Und unter diesen Bedingungen, während der Buchstabe des Gesetzes sie zu den Idioten zählte, hatten Madeleines Lieblingsautorinnen ihre Bücher geschrieben.
    So gesehen war die Literatur des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, insbesondere die von Frauen verfasste, alles andere als ein alter Hut. Gegen gewaltige Widerstände, ohne dass jemand ihnen zugebilligt hätte, zur Feder zu greifen oder sich grundlegend zu bilden, hatten Frauen wie Anne Finch, Jane Austen, George Eliot, die Brontës und Emily Dickinson trotzdem zur Feder gegriffen und waren damit nicht nur in die Welt der Schriftstellerei eingetreten, sondern hatten, wollte man Gilbert und Gubar glauben, zugleich eine neue Literatur geschaffen, ein subversives Männerspiel gespielt. Zwei Sätze aus
Die Verrückte auf dem Dachboden
hatten Madeleine besonders beeindruckt. «In den letzten Jahren etwa haben sich die männlichen Schriftsteller zunehmend in rückwärtsgewandten Bedürfnissen erschöpft – ein Verhalten, das Bloom in seiner Theorie von der ‹Einflussangst› sehr zutreffend analysiert hat   –, während die schreibenden Frauen Pionierarbeit geleistet und eine so intensive Kreativität entwickelt haben, wie es ihren männlichen Kollegen wohl seit der Renaissance oder zumindest der Romantik nicht mehr gelungen ist. Als Sohn vieler Väter hinkt der heutige Schriftsteller seiner Zeit hoffnungslos hinterher. Die heutige Schriftstellerin, Tochter zu weniger Mütter, schreibt in dem Bewusstsein, eine lebensfähige Tradition zu erschaffen, die nun endgültig im Entstehen ist.»
    Innerhalb von zweieinhalb Tagen besuchten Madeleine und ihre neuen Freundinnen sechzehn Veranstaltungen. Sie schlichen sich in die Cocktailparty einer Zusammenkunft von Versicherungsgesellschaften und aßen gratis. An der Hyatt-Bar bestellte Anne regelmäßig Sex on the Beach undkicherte dabei. Anders als Meg, die sich wie ein Hafenarbeiter anzog, trug sie Blumenkleider von Filene’s Basement und hochhackige Schuhe. Am letzten Abend, auf ihrem Zimmer, legte Anne ihren Kopf auf Madeleines Schulter und gestand, dass sie noch Jungfrau war. «Nicht nur Taiwanesin!», klagte sie. «Sondern taiwanesische Jungfrau! Es ist zum Heulen!»
    Sowenig sie mit Meg und Anne verband, war es für Madeleine die schönste Zeit, an die sie sich erinnern konnte. Das ganze Wochenende fragten die anderen kein einziges Mal, ob sie einen Freund hatte. Sie wollten einfach über Literatur reden.

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