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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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mochte man bei niemandem, aber noch weniger bei einer Frau. Am Biologie-Fachbereich der University of Florida in Gainesville war sie unterfordert dahingedümpelt, bis Dr.   Malkiels Vorgänger ihr Genie erkannt und das Geld aufgetrieben hatte, sie nach Pilgrim Lake zu holen und mit einem Vertrag auf Lebenszeit zu etablieren. Das war das Zweite, worüber Madeleine nur staunen konnte: Diane MacGregor war seit 1947 in Pilgrim Lake! Fünfunddreißig Jahre lang hatte sie ihren Mais mit Mendel’scher Geduld inspiziert, ohne Ermutigung oder Feedback bei ihrer Arbeit, war einfach nur Tag für Tag zur Stelle gewesen, vertieft in ihren eigenen Erkenntnisprozess, von der Welt vergessen, ohne sich daran zu stören. Und jetzt schließlich
das
, der Nobelpreis, die Anerkennung ihres Lebenswerks, aber so erfreut sie auch darüber schien, spürte man doch deutlich, dass sie nicht etwa dem Preis hinterhergejagt war. Ihr Lohn war die Arbeit selbst, der aus zahllosen unbemerkenswerten Tagen bestehende Erfolg.
    In ihrem eigenen bescheidenen Rahmen verstand Madeleine, womit Diane MacGregor in dem männerdominierten Laboratorium konfrontiert war. Bei jeder Essenseinladung,zu der sie und Leonard gingen, landete Madeleine unvermeidlich in der Küche, wo sie zusammen mit den anderen Frauen und Freundinnen aufräumen half. Sie hätte sich dem natürlich verweigern können, dann aber den Eindruck erweckt, als wollte sie etwas beweisen. Außerdem war es quälend, sitzen zu bleiben und sich die wetteifernden Diskussionen der Männer anzuhören. Also spülte sie Geschirr ab und hasste es danach. Ihre einzigen sonstigen Geselligkeiten bestanden darin, mit Malkiels junger Frau, Greta – die Madeleine wie einen Aufschlagtrainer behandelte   –, Tennis zu spielen oder mit den anderen Bettgenossen herumzuhängen. So wurden die Partner von Forschungsstipendiaten nämlich genannt: Bettgenossen. Fast jeder Stipendiat war ein Mann. Auch die meisten arrivierten Biologen waren männlichen Geschlechts, und so blieb, abgesehen von den Laborantinnen, nur Diane MacGregor, der Madeleine die Daumen drücken und auf ihre eigene Art und Weise nacheifern konnte.
    Da Verpflegung und Unterkunft in Leonards Stipendium inbegriffen waren, sprach nichts dagegen, dass Madeleine ihre Zeit mit Lesen, Schlafen und Essen verbrachte. Aber sie hatte keineswegs die Absicht, das zu tun. Obwohl sie den Sommer über nicht sehr zielstrebig gewesen war, hatte ihre Zukunft in der akademischen Welt Auftrieb bekommen. Zusammen mit der Bestnote für ihre Jahresarbeit hatte sie von Professor Saunders einen persönlichen Brief erhalten, in dem er sie ermutigte, ihre Thesen in einem kürzeren Aufsatz zusammenzufassen und diesen einer gewissen M.   Myerson bei der
Janeite Review
zuzusenden. «Es könnte für eine Veröffentlichung taugen!», hatte Saunders geschrieben. Wenngleich die Tatsache, dass M.   Myerson Professor Saunders’ Frau Mary war, dieser Empfehlung einen Ruch von Vetternwirtschaft gab, war gedruckt immer noch gedruckt. Im Übrigenhatte Saunders, als Madeleine bei ihm im Büro vorbeigegangen war, lautstark über den Ablehnungsbescheid von Yale gelästert und gesagt, sie sei Opfer einer intellektuellen Mode geworden.
    Dann, an einem Wochenende Mitte September, besuchte Madeleine ein Symposium über viktorianische Literatur am Boston College, das ihr eine neue Richtung wies. Bei der Tagung, die in einem Hyatt-Hotel mit begrünter Lobby und röhrenförmigen Glasaufzügen abgehalten wurde, lernte sie zwei Gleichgesinnte kennen, die genauso vernarrt in die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts waren wie sie selbst. Meg Jones war eine durchtrainierte College-Softball-Pitcherin mit kurzem Strubbelhaar und markantem Unterkiefer, Anne Wong eine Stanford-Absolventin mit Pferdeschwanzfrisur, Herzkette von Elsa Peretti, Seiko-Armbanduhr und einem leichten Akzent ihrer Heimat Taiwan. Anne durchlief gerade ein Masters-Programm für Lyrik und kreatives Schreiben an der University of Houston, wollte aber über englische Literatur promovieren, um ihren Lebensunterhalt abzusichern und ihre Eltern zufriedenzustellen. Meg hatte bereits begonnen, an der Vanderbilt zu promovieren. Sie nannte Austen «die himmlische Jane» und sprudelte einschlägige Fakten und Zahlen wie eine Sportkommentatorin hervor. In Austens Familie habe es acht Kinder gegeben, darunter Jane, das jüngste Mädchen. Sie habe an der Addison-Krankheit gelitten wie John F.   Kennedy. 1783 sei sie an Typhus

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