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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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sie in eine Off-Theateraufführung von
Der Kirschgarten
mitgenommen hatte. Der Erfindungsreichtum dieser Inszenierung – zwischen den Sitzen waren Körbe voll Kirschblüten aufgetürmt, damit das Publikum den Duft des Gartens roch, den Ranjewskaja zusammen mit dem Landgut verkaufen musste – und die interessant aussehenden Gesichter im Publikum hoben Madeleine ins Bewusstsein, dass sie sich in einer Großstadt befand. Nach dem Stück hatte Kelly Madeleine in eine Bar geführt, die bei frischgebackenen Brown-Absolventen sehr beliebt war. Kaum durch die Tür, waren sie auf Mitchell und Larry gestoßen. Die beiden standen kurz vor ihrer Abreise nach Paris am nächsten Tag und waren in Abschiedsfeierstimmung. Madeleine trank zwei Wodka Tonic, während Mitchell sich an Tequila hielt, und dann wollte Kelly noch ins Village fahren, zum Chumley’s. Sie quetschten sich alle vier in ein Taxi, Madeleine auf Mitchells Schoß. Es war weit nach Mitternacht, die offenen Fenster gingen auf tropisch heiße Straßen hinaus, und Madeleine schienden Körperkontakt mit Mitchell nicht minimal zu halten, sondern lehnte sich an ihn. Die Tatsache, dass sie die sexuelle Komponente ihres Auf-seinem-Schoß-Sitzens ignorierten, verstärkte das Erregende daran. Madeleine schaute aus dem Fenster, während Mitchell sich mit Larry unterhielt. Jeder Stoß übertrug eine Geheiminformation. Den ganzen Weg quer durch die Stadt, die East Ninth Street entlang. Sofern Madeleine sich schuldig fühlte, redete sie sich ein,
eine
ausgelassene Nacht habe sie nach ihrem tugendhaften Sommer ja wohl verdient. Abgesehen davon spielte niemand im Taxi den Aufpasser. Schon gar nicht Mitchell, der sich, während die Fahrt weiterging, eine Dreistigkeit erlaubte. Unter ihr Hemd langend, begann er ihre Haut zu streicheln, fuhr mit einem Finger über ihren Brustkorb. Niemand konnte sehen, was er tat. Madeleine ließ ihn gewähren, wobei sie beide vorgaben, ins Gespräch mit Kelly respektive Larry vertieft zu sein. Nach einigen Straßenblocks bewegte Mitchells Hand sich weiter nach oben. Sein Finger versuchte, sich unter das rechte Körbchen ihres BHs zu schieben, aber da klemmte sie ihren Arm an den Körper, und seine Hand zog sich zurück.
    Im Chumley’s unterhielt Mitchell alle, indem er die Geschichte von seinem sommerlichen Abstecher ins Taxifahrerdasein erzählte. Madeleine redete eine Weile mit Kelly, aber es dauerte nicht lange, da landete sie in der Ecke neben Mitchell. Trotz ihres Wodkanebels war sie sich bewusst, dass sie es absichtlich unterließ, den Namen Leonard zu erwähnen. Mitchell zeigte ihr die Male an seinen Oberarmen, wo er am Nachmittag geimpft worden war. Dann sprang er auf, um noch etwas zu trinken zu holen. Madeleine hatte vergessen, wie lustig Mitchell sein konnte. Im Vergleich zu Leonard war er so pflegeleicht. Ungefähr eine Stunde später, als sie nach draußen ging, um ein Taxi anzuhalten, folgte Mitchell ihr,und ehe sie sichs versah, küsste er sie, und sie küsste ihn. Es ging nicht lange so, aber länger, als es hätte gehen dürfen. Schließlich riss sie sich los und schrie: «Ich dachte, du wolltest Mönch sein!»
    «Das Fleisch ist schwach», sagte Mitchell grinsend.
    «Geh!», sagte Madeleine und boxte ihm auf die Brust. «Geh nach Indien!»
    Er blickte sie mit seinen großen Augen an. Dann nahm er ihre Hände. «Ich liebe dich!», sagte er. Und zu ihrer eigenen Überraschung hatte Madeleine geantwortet: «Ich liebe dich auch.» Sie meinte, dass sie ihn im Sinne von
lieb haben
liebte. Das zumindest war eine mögliche Interpretation, und in der Bedford Street, um drei Uhr morgens, beschloss Madeleine, die Sache nicht weiter aufzuklären. Sie küsste Mitchell noch einmal, kurz und trocken, hielt ein Taxi an und machte sich aus dem Staub.
    Am nächsten Morgen, als Kelly sie fragte, was mit Mitchell gewesen sei, hatte Madeleine gelogen.
    «Nichts.»
    «Ich finde, er ist nett», sagte Kelly. «Er sieht besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte.»
    «Findest du?»
    «Er ist irgendwie mein Typ.»
    Als sie das hörte, erlebte Madeleine eine weitere Überraschung: Sie war eifersüchtig. Offenbar wollte sie Mitchell für sich behalten, auch wenn sie ihn verleugnete. Ihre Selbstsucht war grenzenlos.
    «Wahrscheinlich sitzt er schon im Flugzeug», sagte sie und beließ es dabei.
    Im Zug, auf dem Rückweg nach Rhode Island, überfielen Madeleine Gewissensbisse. Sie kam zu dem Schluss, sie müsse Leonard erzählen, was passiert war, aber bis

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