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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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lauschten den gefühlvollen Rufen der Muezzins und tranken auf dem Marktplatz leuchtend grünen Pfefferminztee aus Gläsern. Chaouen war hellblau gestrichen, damit es in den Himmel überging. Nicht einmal die Fliegen fanden es.
    In Marokko merkten sie auch, dass ihre Rucksäcke einFehler waren. Die coolsten Typen, die sie trafen, waren nicht die Expeditionsreisenden mit ihrer Campingausrüstung. Die coolsten Typen waren die, die mit nichts als einer Umhängetasche gerade aus Ladakh zurückkamen. Rucksäcke sind sperrig. Sie stempeln einen als Touristen ab. Auch wenn man kein übergewichtiger, watschelnder Amerikaner ist, mit einem Rucksack wird man einer. Beim Betreten von Eisenbahnabteilen blieb Mitchell stecken und musste verzweifelt mit den Armen rudern, um sich zu befreien. Aber sie konnten sich ihrer Rucksäcke nicht entledigen, weil es schon kälter wurde, als sie im Oktober nach Europa zurückkehrten. Sie ließen die Wärme Südfrankreichs hinter sich und fuhren hinauf ins herbstliche Lausanne, ins windige Luzern. Sie packten ihre Pullover aus.
    In der Schweiz kam Mitchell auf die Idee, mit seiner MasterCard Sachen zu kaufen, die seine Eltern beunruhigen würden, wenn sie die Kontoauszüge bekamen. Innerhalb von drei Wochen belastete er sie mit: 65   Schweizer Franken ( 29,57   Dollar ) für eine Tiroler Pfeife und Tabak der Marke Totentanz: Cigarren und Pfeifen, 72   Schweizer Franken ( 32,75   Dollar ) für eine Mahlzeit in einem Züricher Restaurant namens Das Bordell, 234 österreichischen Schilling ( 13   Dollar ) für eine englische Ausgabe von Charles Colsons Erinnerungen
Wiedergeboren
und 62   500   Lire ( 43,54   Dollar ) für das Abo einer in Bologna erscheinenden kommunistischen Zeitschrift, die monatlich an die Detroiter Adresse der Grammaticus verschickt werden sollte.
    An einem wolkenweichen Nachmittag Ende Oktober kamen sie nach Venedig. Da sie sich keine Gondel leisten konnten, verbrachten sie die ersten Stunden damit, kreuz und quer durch die Stadt zu gehen, über Brücken und Treppen, die wie in einer Escher-Zeichnung alle zu derselben Piazzamit demselben plätschernden Brunnen und demselben Paar alter Männer zurückzuführen schienen. Nachdem sie eine billige Pension gefunden hatten, machten sie sich auf, die Piazza San Marco zu besichtigen. In dem schwach beleuchteten Museum im Dogenpalast ertappte Mitchell sich dabei, wie er ein geheimnisvolles Objekt in einer Vitrine anstarrte. Aus stark verrosteten Metallgelenken hergestellt, bildete es einen ringförmigen Gürtel, von dem ein anderer herabhing. Auf dem Schildchen stand:
cintura di castità
.
    «Dieser Keuschheitsgürtel war das Schrecklichste, was ich je in meinem Leben gesehen habe», sagte Mitchell später beim Abendessen in einem preiswerten Restaurant.
    «Deshalb heißt es ja das finstere Mittelalter», sagte Larry.
    «Das war schlimmer als finster.» Er beugte sich vor und senkte die Stimme. «Da waren zwei Öffnungen. Eine vorne, für die Vagina, und eine hinten, für das Arschloch. Mit spitzen Metallzähnen dran. Wenn du mit so einem Ding gekackt hast, kam deine Scheiße raus wie Zuckerguss.»
    «Schön zu wissen», sagte Larry.
    «Stell dir vor, das Ding monatelang anzuhaben. Jahrelang! Wie würdest du es sauber halten?»
    «Du wärst die Königin», sagte Larry. «Du hättest jemanden, der es für dich sauber macht.»
    «Eine Kammerfrau.»
    «Das wäre nur einer der Vorteile.»
    Sie gossen sich Wein nach. Larry hatte gute Laune. Es war verblüffend, wie schnell er über Claire hinweggekommen war. Vielleicht hatte er Claire gar nicht so besonders gemocht. Vielleicht hatte er Claire genauso wenig gemocht, wie Mitchell sie gemocht hatte. Dass Larry binnen Wochen über Claire hinwegkommen konnte, während Mitchell wegenMadeleine todunglücklich blieb – obwohl er ja gar nicht mit ihr zusammen gewesen war   –, bedeutete doch dies: Entweder war Mitchells Liebe zu Madeleine rein und wahr und welterschütternd bedeutsam; oder er war süchtig danach, sich einsam und verlassen zu fühlen, war
gern
todunglücklich, und das «Gefühl», das er für Madeleine empfand – noch verstärkt durch die Ströme von Chianti   –, war nur eine pervertierte Form von Selbstliebe. Anders gesagt, überhaupt keine Liebe.
    «Vermisst du Claire denn gar nicht?», fragte Mitchell.
    «Doch.»
    «Das merkt man dir aber nicht an.»
    Larry nahm das zur Kenntnis, erwiderte Mitchells Blick, sagte aber nichts.
    «Wie war sie so im Bett?»
    «Na, na,

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