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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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als alle anderen, die er kannte. Aber das war eben nur seine Art und Weise, sich am Ast festzuhalten.
    Was Larry von Mitchells Lesestoff hielt, war unklar. Meistens beschränkte sich seine Reaktion auf das Hochziehen einer hellblonden Riverdale-Augenbraue. Als ehemalige Mitglieder der Kunstszene am College waren Larry und Mitchell Menschen gewohnt, die radikale Verwandlungen ihrer Identität durchliefen. Moss Runk (ein Mädchen) war als apfelwangiges Mitglied der Geländelaufmannschaft an die Brown gekommen. Vom ersten Studienjahr an hatte sie es abgelehnt, geschlechtsspezifische Kleidung zu tragen. Stattdessen hüllte sie sich in warm aussehende, formlose Gewänder, die sie sich aus dickem grauem Filz selbst schneiderte. Einer wie Mitchell oder Larry verhielt sich gegenüber jemandem wie Moss Runk, indem er so tat, als bemerkte er es nicht. Wenn Moss, die sich aufgrund ihres bodenlangen Kleidersaums wie ein Luftkissenboot vorwärtsbewegte, zu ihnen in den Blue Room hinaufkam, rutschte man ein Stück beiseite, damit sie sich setzen konnte. Fragte jemand, was sie genau war, sagte man: «Das ist Moss!» Trotz ihrer komischen Kleidung warMoss Runk nach wie vor dieselbe fröhliche Person aus Idaho, die sie immer gewesen war. Andere hielten sie für absonderlich, aber Mitchell und Larry nicht. Was auch immer zu ihrer drastischen kleidungsmäßigen Entscheidung geführt hatte, es war etwas, wonach Mitchell und Larry nicht fragten. Ihr Schweigen signalisierte Solidarität mit Moss gegenüber all den konventionellen Menschen in ihren Daunenwesten und Adidas-Turnschuhen, die im Hauptfach Volkswirtschaft oder Maschinenbau studierten und die letzte Phase totaler Freiheit in ihrem Leben damit verbrachten, nichts auch nur ein kleines bisschen Ungewöhnliches zu tun. Mitchell und Larry wussten, dass Moss Runk nicht in der Lage sein würde, ihre androgynen Outfits ewig zu tragen. (Noch etwas Nettes an Moss war, dass sie Rektorin an einer Highschool werden wollte.) Der Tag würde kommen, an dem sie, um eine Stelle zu kriegen, ihr graues Filzgewand an den Haken hängen und einen Rock oder Businessanzug anziehen müsste. Mitchell und Larry wollten nicht in der Nähe sein und das sehen.
    Mitchells Interesse am christlichen Mystizismus wurde von Larry genauso behandelt. Er bemerkte es. Er machte klar, dass er es bemerkte. Aber einstweilen gab er keinen Kommentar dazu ab.
    Außerdem machte Larry unterwegs seine eigene Verwandlung durch. Er kaufte sich ein lila Halstuch. Seine Raucherei, die Mitchell für eine zeitweilige Vorliebe gehalten hatte, wurde zur Gewohnheit. Zunächst kaufte Larry Zigaretten einzeln, was man offenbar konnte, aber dann kaufte er ganze Päckchen Gauloises Bleues. Fremde fingen an, Zigaretten von ihm zu schnorren, magere, zigeunerartige Bürschchen, die ihm auf europäische Art den Arm um die Schulter legten. Mitchell kam sich wie Larrys Aufpasser vor, der darauf wartete, dass diese Schwätzchen ein Ende nahmen.
    Überdies schien Larry nicht sehr unter Liebeskummer zu leiden. Irgendwann auf der Fähre nach Rosslare war er an Deck gegangen, um eine schwermütige Zigarette zu rauchen. Es verstand sich von selbst, dass er an Claire dachte. Aber er warf die Zigarette über Bord, der Rauch verwehte, und das war’s.
    Von Irland fuhren sie zurück nach Paris, wo sie den Nachtzug nach Barcelona nahmen. Das Wetter kam ihnen beinahe mild vor. Auf den Ramblas wurden Wildtiere aus dem Dschungel verkauft, weise blickende Makaken, technicolorbunte Papageien. Sie fuhren noch weiter nach Süden und verbrachten eine Nacht in Jerez und eine in Ronda, bevor sie sich für drei Tage nach Sevilla aufmachten. Dann, als sie merkten, wie nahe sie an Nordafrika waren, beschlossen sie, noch weiter in den Süden, nach Algeciras, zu fahren und dort die Fähre über die Straße von Gibraltar nach Tanger zu nehmen. Während der ersten Tage in Marokko gelang es ihnen nicht, Haschisch zu kaufen. In ihrem Reiseführer stand die Adresse einer Bar in Tetuan, wo man leicht an Hasch kommen konnte, aber als Fußnote auf derselben Seite auch eine Warnung, die marokkanische Gefängnisse mit dem türkischen Knast in
Midnight Express
verglich. Schließlich, in dem kleinen Bergdorf Chaouen, kamen sie in ihr Hotel und fanden dort zwei Dänen mit einem kindskopfgroßen Batzen Hasch vor sich auf dem Tisch. Die folgenden Tage verbrachten Mitchell und Larry herrlich bekifft. Sie spazierten durch die engen, wie ein Bienenstock summenden Gassen des Dorfes,

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