Die Liebeshandlung
Bildlegende als Melina Mercouri ausgewiesen wurde.
Vor dem griechischen Alphabet streckte er die Waffen. Mit zwölf hatte er zu Füßen seiner
jiajia
gesessen, ihr Goldjunge, und von ihr das griechische Alphabet gelernt. Aber er war nie über Σ hinausgelangt, und jetzt hatte er alles außer Α und Ω vergessen.
Nach drei Tagen Athen beschlossen sie, mit dem Bus auf den Peloponnes zu fahren. Vor der Abreise gingen sie in das AmEx-Büro, um Reiseschecks einzulösen. Zunächst erkundigte Mitchell sich aber am Informationsschalter, ob Post für sie angekommen sei. Die Frau gab ihm zwei Briefe. Auf dem einen erkannte er die Girlandenschrift seiner Mutter. Doch es war der zweite Brief, der sein Herz hüpfen ließ. Sein Name und die «c/o American Express»-Adresse waren auf einer mechanischen Schreibmaschine mit abgenutztem Farbband vorne draufgetippt worden. Die «a» und das «s» in seinem Nachnamen waren nahezu farblos. Als er den Umschlag umdrehte, stand da als Absender: M. Hanna, Pilgrim Lake Laboratorium, Starbuck App. 12, Provincetown, MA 02657.
Als enthielte er etwas Obszönes, stopfte Mitchell den Brief schnell in die Gesäßtasche seiner Jeans. In der Schlange vor den Kassenschaltern öffnete er stattdessen den Brief von Lillian.
Lieber Mitchell,
seit wir die Eigentumswohnung in Vero Beach haben, sind Dein Vater und ich «Zugvögel», aber erstdieses Jahr können wir wirklich Anspruch auf den Titel erheben. Am Dienstag sind wir mit «Herbie» die ganze Strecke von Detroit bis hinunter nach Fort Myers geflogen. Es war ziemlich schick, im eigenen Flugzeug zu fliegen, und der Flug hat nur sechs Stunden gedauert. (Ich erinnere mich, dass es mit dem Auto immer vierundzwanzig Stunden gedauert hat!) Ich genoss es, das Land weit, weit unten vorbeiziehen zu sehen. Man fliegt ja nicht so hoch wie in einem Linienflugzeug, kann also das Gelände richtig sehen, alle Flüsse, die sich hierhin und dahin schlängeln, und natürlich das Ackerland, das mich an einen von Omas alten Patchwork-Quilts erinnerte. Ich kann allerdings nicht sagen, dass der Flug besonders gesprächsfördernd gewesen wäre. Der Motor übertönt so gut wie alles, und Dein Vater trug die meiste Zeit seine Kopfhörer, um den «Verkehr» mitzuhören; ich hatte also niemanden zum Reden, außer Kerbi, der auf meinem Schoß saß. (Gerade fällt mir auf, dass «Herbie» und «Kerbi» sich reimen.)
Unterwegs wies mich Dein Vater auf die Sehenswürdigkeiten hin. Wir flogen direkt über Atlanta und über weitläufige Sümpfe, was mich ein wenig ängstigte. Wenn man da notlanden müsste, gäbe es meilenweit nichts als Schlangen und Alligatoren.
Wie Du aus alldem ersehen kannst, war Deine Mutter nicht gerade eine vorbildliche «Kopilotin». Dean sagte wieder und wieder, ich solle aufhören, mir Sorgen zu machen, er habe alles «unter Kontrolle». Aber der Flug war so böig, dass es mir nicht möglich war, mein Buch zu lesen. Ich konnte nur aus demFenster starren, und nach einer Weile sah sogar das gute alte Amerika nicht mehr so interessant aus. Jedenfalls kamen wir heil an, und jetzt sind wir in Vero, wo es, wie üblich, zu heiß ist. Winston kommt am ersten Weihnachtstag aus Miami (er sagt, Heiligabend hat er irgendeinen Aufnahmetermin und kann nicht vorher da sein). Nick und Sally kommen mit dem kleinen Nick morgen Abend per Flugzeug. Dean und ich wollen sie am Flughafen von Fort Lauderdale abholen und sie in ein wirklich hübsches Lokal einladen, das wir in Fort Pierce gefunden haben, gleich neben der A1A, am Wasser.
Es wird ein komisches Gefühl sein, dieses Jahr an Weihnachten unser «Baby» nicht bei uns zu haben. Dein Vater und ich sind begeistert, dass Du und Larry die Chance habt, «die Welt zu sehen». Nach der ganzen schweren Arbeit, die Du am College geleistet hast, verdienst Du es. Ich denke jeden Tag an Dich und versuche mir vorzustellen, wo Du wohl bist und was Du wohl machst. Normalerweise weiß ich ja, wo Du wohnst und schläfst. Sogar auf dem College wussten wir in der Regel, wie Deine Wohnung aussah, deshalb fiel es mir nicht so schwer, mir Dich vorzustellen. Aber jetzt weiß ich meistens nicht, wo Du bist, und bin deshalb dankbar für jede Karte von Dir. Wir haben die aus Venedig bekommen mit dem Pfeil auf «unser Hotel». Das Hotel selbst konnte ich nicht richtig erkennen, aber ich bin froh, dass es, wie Du schriebst, «spottbillig» ist. Venedig sieht aus wie ein magischer Ort, die perfekte Umgebung für einen jungen
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