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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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erinnerte sie daran, dass es Zeit wurde, nach Asien aufzubrechen. Nachdem Iannis weitergefahren war, um seine Geschäfte zu erledigen, gingen Larry und Mitchell zu einem Reisebüro, um ihre Flugtickets zu kaufen. Athen war ja berühmt für seine billigen Flugpreise, und das erwies sich als richtig: Für weniger als fünfhundert Dollar bekamen sie unbegrenzt gültige Tickets Athen   – Kalkutta   – Paris mit Air India für den nächsten Tag.
    Iannis führte sie am Abend noch in ein Fischrestaurant und in drei verschiedene Bars, bevor er sie wieder am Hotel absetzte. Am Morgen gingen Mitchell und Larry in die Plaka und kauften sich neue, kleinere Taschen. Larry wählte eine farbenfroh gestreifte Schultertasche aus Hanf, Mitchell einen dunklen Matchsack. Zurück im Hotel, packten sie wesentliche Dinge ein, wobei sie versuchten, das Gewicht so gering wie möglich zu halten. Sie ließen ihre Pullis, langen Hosen, Tennisschuhe, Schlafsäcke und Isomatten genauso weg wie die Bücher und sogar ihr Shampoo. Mitchell sortierte seine heilige Teresa, seinen Augustinus, seinen Thomas Merton und seinen Pynchon aus, nur nicht das dünne Taschenbuch
Mutter Teresa   – Etwas Schönes für Gott
. Alles, was sie nicht brauchten, taten sie in ihre Rucksäcke, die sie zur Post brachten und per Schiff in die Staaten zurückschickten. Als sie wieder auf die Straße traten, klatschten sie einander ab, weil sie sich zum ersten Mal wie richtige Reisende fühlten, ungebunden und entlastet.
    Mitchells Fröhlichkeit hielt nicht lange an. Unter den Dingen, die er nicht aussortiert hatte, war Madeleines Brief, und als sie wieder im Hotel waren, verriegelte er im Bad hinter sich die Tür, um ihn noch einmal zu lesen. Diesmal allerdings erschien er schlimmer, endgültiger als zuvor. Als Mitchell aus dem Bad kam, legte er sich aufs Bett und schloss die Augen.
    Larry rauchte auf dem Balkon. «Wir haben die Akropolis noch nicht gesehen», sagte er. «Aber wir müssen sie sehen.»
    «Ich habe sie gesehen», murmelte Mitchell.
    «Wir sind nicht raufgestiegen.»
    «Ich hab jetzt keine Lust.»
    «Du fährst bis nach Athen, und dann willst du dir die Akropolis nicht ansehen?»
    «Ich komme nach», sagte Mitchell.
    Er wartete, bis Larry weg war, bevor er den Tränen freien Lauf ließ. Es ging um eine Kombination von Dingen, in erster Linie um Madeleines Brief, aber auch um die Aspekte seiner Persönlichkeit, die ihr diesen Brief hatten notwendig erscheinen lassen, seine Unbeholfenheit, seinen Charme, seine Aggressivität, seine Schüchternheit, alles, was ihn beinahe, aber nicht ganz zum Richtigen für sie machte. Ihm kam der Brief wie ein Urteil über sein gesamtes bisheriges Leben vor, mit der Strafe, hier zu enden, auf einem Bett, allein in einem Athener Hotelzimmer, zu niedergedrückt von Selbstmitleid, um hinauszugehen und auf die verdammte Akropolis zu steigen. Die Vorstellung, auf einer Art Pilgerfahrt zu sein, erschien ihm lächerlich. Das Ganze war so ein Witz! Wenn er doch bloß nicht er selbst wäre! Wenn er doch bloß jemand anders, wenn er doch anders wäre!
    Mitchell setzte sich auf, wischte die Tränen ab. Er beugte sich zur Seite und zog das Neue Testament aus seiner Gesäßtasche. Er schlug es auf und nahm die Karte heraus, die die Frau ihm gegeben hatte. Darauf stand «Bibelinstitut Athen» über der griechischen Flagge mit einem goldenen Kreuz. Darunter ihre Nummer.
    Mitchell rief sie vom Zimmertelefon aus an. Die ersten beiden Male kam er nicht durch, weil er die falsche Vorwahl gewählt hatte, aber beim dritten Versuch hörte er es klingeln. Und dann antwortete zu seinem Erstaunen Janice P., die Frau aus der Schlange im AmEx-Büro, und ihre Stimme klang sehr nahe.
    «Hallo?»
    «Hi, hier ist Mitchell. Wir haben uns kürzlich bei American Express kennengelernt.»
    «Gelobt sei Gott!», sagte Janice. «Ich habe für dich gebetet. Und nun rufst du an. Gelobt sei der Herr!»
    «Ich habe deine Karte gefunden, deshalb.»
    «Bist du bereit, den Herrn in dein Herz einzulassen?»
    Das kam ziemlich plötzlich. Mitchell blickte zur Decke. Sie hatte der Länge nach einen Riss.
    «Ja», sagte er.
    «Gelobt sei der Herr!», sagte Janice noch einmal. Sie klang aufrichtig glücklich, ja begeistert. Sie fing an, über Jesus und den Heiligen Geist zu sprechen, während Mitchell zuhörte, versuchsweise. Er spielte mit und spielte doch nicht mit. Er wollte wissen, wie es sich anfühlte. «Ich habe dir gesagt, dass es unsere Bestimmung ist, einander

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