Die Liebeshandlung
Erhöhung der Serotoninsynthese gefachsimpelt. Sie hatten die möglichen Nebenwirkungen bei der Einnahme von Lithium aufgezählt, ohne ins Detail zu gehen, und dann hauptsächlich noch weitere Medikamente erörtert, mit denen die Nebenwirkungen gelindert werden konnten. Alles in allem eine Menge Pharmakologieund Pharmamarkennamen, die Leonard verdauen musste, und das in seinem gefährdeten Geisteszustand.
Vier Jahre zuvor, als seine Krankheit im ersten Semester offiziell als manisch-depressive Störung diagnostiziert worden war, hatte Leonard nicht viel darüber nachgedacht, was das Lithium bei ihm bewirken würde. Er wollte sich bloß wieder normal fühlen. Die Diagnose war ihm vorgekommen wie eine weitere Angelegenheit – neben Geldmangel und seiner kaputten Familie –, die ihn am Vorankommen zu hindern drohte, gerade als sich bei ihm der Eindruck einstellte, das Blatt habe sich zu seinen Gunsten endlich gewendet. Mustergültig nahm er zweimal täglich seine Pillen. Er fing eine Therapie an, zunächst bei einem psychiatrischen Berater des Gesundheitsdienstes, bevor er Bryce Ellis fand, der sich seiner Studentenarmut erbarmte und einen günstigeren Tarif berechnete. In den folgenden drei Jahren behandelte Leonard seine manisch-depressive Störung als etwas, worauf er sich konzentrieren musste, obwohl er sich nicht sehr dafür interessierte, und tat nur das absolut notwendige Minimum, um über die Runden zu kommen.
Leonard war in Portland, Oregon, in einem Arts & Crafts-Haus aufgewachsen, dessen Vorbesitzer im Eingangsflur ermordet worden war. Wegen der grausigen Geschichte der Linden Street 133 war das Haus vier Jahre lang auf dem Markt gewesen, bis Leonards Vater Frank es für die Hälfte des ursprünglich geforderten Preises kaufte. Frank Bankhead besaß ein Geschäft für alte Drucke auf dem Nob Hill, das auf englische Lithographien spezialisiert war. Es ging schrecklich schlecht, auch damals schon, war eher ein Ort, den Frank tagsüber aufsuchen konnte, um seine Pfeife zu rauchen und auf die Zeit für den Cocktail zu warten. Als Leonard heranwuchs, brachte Frank ihm bei, die Bankheads seien
«old
Portland»
, womit er die Familien meinte, die nach Oregon gekommen waren, als es noch zum Nordwestterritorium gehörte. Dafür gab es allerdings nicht viele Anzeichen, keine Bankhead Street im Zentrum, nicht einmal irgendwo ein altes Schild oder eine Tafel, auf der «Bankhead» stand, oder die Büste eines Bankhead in der Historischen Gesellschaft von Oregon. Andererseits gab es Franks Dreiteiler aus Tweed und seine altmodischen Manieren. Es gab seinen Laden voller Dinge, die niemand kaufen wollte: Lithographien, nicht aus den frühen Tagen der Stadt oder sonst wie von Interesse für einen Einheimischen, sondern von Orten wie Bath, Cornwall oder Glasgow. Es gab Drucke von Jagdszenen, von Zechgelagen in Londoner Schenken, Zeichnungen von Taschendieben, zwei Vorzeige-Hogarths, von denen Frank sich nie trennen konnte, und eine Menge Schrott.
Das Geschäft mit den Drucken deckte kaum die Kosten. Die Bankheads überlebten mit schrumpfenden Einkünften aus Aktien, die Frank von seinem Großvater geerbt hatte. Gelegentlich erbeutete er bei einer Haushaltsauflösung einen wertvollen Druck, den er dann mit Profit weiterverkaufte (manchmal flog er dafür nach New York). Aber im Gegensatz zu Franks gesellschaftlichen Ambitionen zeigte die Kurve des Firmengeschicks nach unten, und deshalb hatte er sich für das Haus interessiert.
Das erste Mal hatte er von einem Kunden, der in der Umgebung wohnte, davon gehört. Der Vorbesitzer, ein Junggeselle namens Joseph Wierznicki, war direkt an der Haustür mit solcher Gewalt erstochen worden, dass hinter dem Verbrechen laut Polizei etwas «Persönliches» gestanden haben musste. Niemand war dafür zur Rechenschaft gezogen worden. Die Geschichte war, samt Fotos von den Blutspritzern auf Wänden und Fußboden, durch alle Zeitungen gegangen.Und damit hätte es dann gut sein können. Zu gegebener Zeit wurde das Haus auf den Markt gebracht. Arbeiter säuberten und renovierten den Eingangsflur. Doch eine Rechtsvorschrift, die von Immobilienmaklern verlangte, jede Information offenzulegen, die den Weiterverkauf beeinträchtigen könnte, verpflichtete sie, die Kriminalgeschichte des Hauses zu erwähnen. Hörten angehende Käufer von dem Mord, sahen sie sich (sofern sie überhaupt noch interessiert waren) die Unterlagen an, und sobald sie die Fotos erblickten, zogen sie ihr Gebot
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