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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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heute Morgen bei Kelly auf und fühlte mich so schuldig und verwirrt, dass ich mich entschlossen habe, Dir auf der Stelle zu schreiben.
    (Der Zug rüttelt. Ich hoffe, Du kannst das lesen.)
    Ich habe einen festen Freund , Mitchell. Es ist mir ernst mit ihm. Ich wollte gestern Abend nicht über ihn sprechen, weil Du dann immer wütend wirst und weil ich ehrlich gesagt nach New York gefahren war, um ihn ein paar Tage zu vergessen. Leonard und ich hatten in letzter Zeit Probleme. Ich kann nicht darauf eingehen. Aber es war schwer für ihn, schwer für mich und schwer für unsere Beziehung. Wäre ich jedenfalls nicht völlig durchgedreht gewesen, hätte ich gestern Abend nicht so viel getrunken und es wäre nicht zu diesem Kuss gekommen. Ich sage nicht, ich hätte es nicht gewollt. Nur: Ich hätte es nicht getan.
    Trotzdem ist es seltsam, weil gerade jetzt etwas in mir an der nächsten Station aussteigen und nach New York zurückfahren will, um dich zu suchen. Aber dafür ist es zu spät. Dein Flieger ist wahrscheinlich längst gestartet. Du bist unterwegs nach Indien.
    Was gut ist. Weil es nämlich nicht funktioniert hat! Du bist nicht der Freund geworden, der keine Freundin und kein fester Freund ist. Du bist bloß ein weiterer zudringlicher Kerl geworden. Mit diesem Brief will ich also ganz einfach die Initiative ergreifen und mit Dir Schluss machen. Unsere Beziehung hat sich immer jeder Einordnung widersetzt, deshalb, meine ich, ist es nur logisch, wenn es sich mit diesem Brief genauso verhält.
    Lieber Mitchell, ich will nie wieder mit Dir zusammen sein (obwohl wir gar nicht zusammen waren).
    Ich will mit anderen Leuten zusammen sein (obwohl ich schon mit jemandem zusammen bin).
    Ich brauche etwas Zeit für mich selbst (obwohl Du meine Zeit nicht in Anspruch genommen hast).
    Okay? Hast Du’s jetzt kapiert? Ich bin verzweifelt.
    Ich ergreife verzweifelte Maßnahmen.
    Ich werde wohl untröstlich sein, Dich in meinem Leben nicht weiter um mich zu haben. Aber ich bin schon ohne Dich verwirrt genug über mein Leben und meine Beziehung. Ich will Schluss mit Dir machen, so schwer das sein und so blöd es sich anhören mag. Ich bin immer vernünftig gewesen. Nur gerade jetzt kommt es mir vor, als würde ich vor die Hunde gehen.
    Ich wünsche Dir eine tolle, phantastische, unglaubliche Reise. Dass Du all die Orte und Sehenswürdigkeiten siehst, die Du sehen wolltest, all die Erfahrungen machst, die Du suchst. Vielleicht wirst Du eines Tages bei unserem 50.   Collegetreffen eine verrunzelte alte Dame mit einem Lächeln auf Dich zukommen sehen, und das werde ich sein. Vielleichtkannst Du mir dann von all dem erzählen, was Du in Indien gesehen hast.
    Pass auf Dich auf,
    Maddy
     
    PS 27.   September
    Ich habe diesen Brief beinahe einen Monat mit mir herumgetragen und überlegt, ob ich ihn abschicke oder nicht. Und ich schicke ihn weiterhin nicht ab. Ich bin jetzt auf Cape Cod, bis zu den Ohren unter Biologie-Fachidioten, und womöglich überlebe ich das nicht.
     
    PPS 6.   Oktober
    Ich habe eben mit Deiner Mutter telefoniert. Ich hatte gemerkt, dass ich gar keine Adresse von Dir habe. Deine Mutter sagte, Du seist «unterwegs» und man könne Dich nicht erreichen, Du würdest Deine Post aber irgendwann bei AmEx in Athen abholen. Sie gab mir die Adresse. Übrigens, vielleicht solltest Du Deine Eltern mal anrufen. Deine Mutter klang besorgt.
    Also dann. Ich schicke das jetzt ab.
    M.
     
    Irgendwo über dem Dach der Taverne stießen am schwarzen griechischen Himmel zwei Gewitterfronten zusammen, gaben Ströme von Regen auf das Dorf ab und verwandelten die abschüssigen Straßen in Wasserfälle. Fünf Minuten später, als Mitchell den Brief zum zweiten Mal las, fiel der Strom aus.
    Er lag im Dunkeln wach und bewertete die Lage. Ihm wurde klar, dass Madeleines Brief ein niederschmetterndesDokument war. Und er war angemessen niedergeschmettert. Andererseits hatte Madeleine ihn so lange hingehalten, dass ihre Ablehnungen wie Standardvertragssätze waren, über die seine Augen hinwegglitten, während sie nach möglichen Hintertürchen oder verborgenen Klauseln von wirklicher Bedeutung suchten. Und in dieser Hinsicht fand er viel Erfreuliches. Da war die erhebende Enthüllung, dass Madeleine an jenem Thanksgiving-Wochenende vor langer Zeit mit ihm hatte schlafen wollen. Da war dieses Hitzige im Ton, das Madeleine gar nicht ähnlich schien, aber eine ganz neue Seite an ihr erkennen ließ. Sie machte sich Sorgen, das Loch könnte

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