Die Liebeshandlung
Hosentasche, holte zwanzig Paise hervor und legte sie dem Bettler in die schmutzige Hand.
Mike sagte: «Als ich hier noch neu war, habe ich den Bettlern auch immer was gegeben. Aber dann wurde mir klar, dass es hoffnungslos ist. Es hört nie auf.»
«Jesus hat gesagt, dem, der dich bittet, sollst du geben», sagte Mitchell.
«Tja», sagte Mike, «Jesus war offenbar nie in Kalkutta.»
Der Lassi-Laden entpuppte sich als gar kein Laden, sondern als eine an einer pockennarbigen Mauer abgestellteKarre. Obendrauf standen drei Krüge mit Tüchern, die die Fliegen abhalten sollten.
Der Verkäufer erklärte, was in jedem war: «Salziges Lassi. Süßes Lassi. Bhang-Lassi.»
«Wir möchten gerne Bhang-Lassi», sagte Mike.
Das belustigte die beiden an der Wand lehnenden Männer, vermutlich Freunde des Verkäufers.
«Bhang-Lassi!», riefen sie. «Bhang!»
Der Verkäufer goss zwei große Gläser voll. Das Bhang- Lassi war grünlich braun. Darin schwammen sichtbare Brocken.
«Von diesem Stoff wird man voll abgefuckt», sagte Mike und hob das Glas zum Mund.
Mitchell nippte daran. Es schmeckte wie Entengrütze. «Apropos abgefuckt», sagte er. «Kann ich mal das Bild von dem Mädchen sehen, das du in Thailand kennengelernt hast?»
Mike grinste lüstern und zog es aus seiner Brieftasche. Dann gab er es Mitchell. Ohne es anzusehen, zerriss Mitchell es sofort und warf es auf den Boden.
«He!»
«Alles futsch», sagte Mitchell.
«Du hast mein Foto zerrissen! Warum hast du das gemacht?»
«Ich helfe dir doch nur. Es ist ja mitleiderregend.»
«Fick dich ins Knie!», sagte Mike mit gebleckten Zähnen wie eine Ratte. «Scheißjesusfreak!»
«Was ist denn wohl schlimmer? Ein Scheißjesusfreak zu sein oder sich minderjährige Prostituierte zu kaufen?»
«Ooooh, da kommt ein Bettler», sagte Mike höhnisch. «Ich glaube, ich gebe ihm ein wenig Geld. Ich bin ja so heilig! Ich werde die Welt retten!»
«Ooooh, da kommt ein Thai-Barmädchen. Ich glaube, sie mag mich! Ich werde sie heiraten! Ich nehme sie mit nach Hause, damit sie für mich kocht und putzt. In meinem eigenen Land kriege ich keine Frau, weil ich ein fetter, arbeitsloser Sack bin. Deshalb nehme ich mir ein Thaimädchen.»
«Weißt du, was? Scheiß auf dich
und
Mutter Teresa! Bis dann, Arschloch. Viel Spaß mit deinen Nonnen. Ich hoffe, sie blasen dir einen, das brauchst du nämlich.»
Dieser kleine Gedankenaustausch mit Mike hatte Mitchell in eine wunderbare Stimmung versetzt. Nachdem er sein Bhang-Lassi ausgetrunken hatte, ging er noch einmal zur Heilsarmee. Die Veranda war geschlossen, aber die Bücherei hatte noch geöffnet. Er setzte sich in die hinterste Ecke auf den Boden, benutzte den Francis Schaeffer als Schreibunterlage und schrieb ein neues Aerogramm.
Liebe Madeleine,
lass es mich mit Dustin Hoffman laut und deutlich sagen: Heirate den Kerl nicht !!! Er ist nichts für Dich.
Vielen Dank für Deinen netten langen Brief. Ich erhielt ihn vor ungefähr einem Monat in Athen. Tut mir leid, dass ich erst jetzt antworte. Ich habe mir alle Mühe gegeben, Dich aus meinen Gedanken zu verbannen.
Ich habe gerade ein Bhang-Lassi getrunken. Ein Lassi, falls Du noch nie eins probiert hast, ist ein erfrischendes indisches Getränk aus Joghurt. Bhang ist Gras. Ich habe dieses Getränk vor fünf Minuten bei einem Straßenverkäufer gekauft, was nur ein weiteres der vielen Wunder des Subkontinents ist.
Also, die Sache ist die. Wenn wir übers Heiraten gesprochen haben (ich meine, abstrakt), hattest Dudie Theorie, dass, wer heiratet, in einem von drei Stadien ist. In Stadium eins sind die traditionellen Menschen, die ihre Collegeliebe heiraten, meistens im Sommer nach dem Abschluss. Die in Stadium zwei heiraten so mit 28. Und dann gibt es die in Stadium drei, die in einer letzten Welle heiraten, aus einem Gefühl von Verzweiflung heraus, so mit 36, 37 oder sogar 39.
Du sagtest, Du würdest nie gleich nach dem College heiraten. Du wolltest warten, bis deine «Karriere» gesichert ist, und mit über dreißig heiraten. Insgeheim dachte ich immer, Du wärst ein Kandidat für Stadium zwei, aber als ich Dich vor der Abschlussfeier sah, wurde mir klar, dass Du eindeutig und unverbesserlich in Stadium eins bist. Dann kam Dein Brief. Je öfter ich ihn las, desto bewusster wurde mir, was Du verschwiegen hast. Unter Deiner winzig kleinen Handschrift ist ein verdrängter Wunsch. Vielleicht hat Deine winzig kleine Handschrift das Dein Leben lang getan: verhindert, dass
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