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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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manischen Depression verheiratet» zu sein. Am Anfang hatte das Drama ihrer Versöhnung sämtliche Schwierigkeiten ausgeblendet. Es war ein Rausch, wenn man so gebraucht wurde, wie Leonard sie brauchte. Als der Sommer jedoch voranschritt und es Leonard nicht spürbar besserging – und insbesondere nachdem sie aufs Cape gezogen waren und es ihm eher schlechterging   –, begann Madeleine sich zu fühlen, als müsste sie ersticken. Es war, als hätte Leonard seine heiße, muffige Einzimmerwohnung mitgebracht, als lebte er emotional dort, und jeder, der bei ihm sein wollte, müsste sich ebenfalls in diesen heißen seelischen Raum quetschen. Es war, als müsste Madeleine, um Leonard ganz zu lieben, in denselben dunklen Wald wandern, in dem er sich verirrt hatte.
    Wenn man sich im Wald verirrt, kommt ein Moment, in dem der Wald sich auf einmal wie ein Zuhause anfühlt. Je mehr Leonard sich von anderen Menschen zurückzog, desto mehr verließ er sich auf Madeleine, und je mehr er sich auf sie verließ, desto tiefer wollte sie ihm folgen. Sie hörte auf, mit Greta Malkiel Tennis zu spielen. Sie tat nicht einmal mehr so, als wollte sie mit den anderen Bettgenossinnen einen trinken gehen. Um Phyllida zu bestrafen, lehnte Madeleine die Einladung zum Thanksgiving-Essen ab. Stattdessen feierten sie und Leonard in Pilgrim Lake, aßen im Speisesaal mit der Minimalbesetzung der Dagebliebenen. Über das restliche Feiertagswochenende wollte Leonard das Apartment nicht mehr verlassen. Madeleineschlug vor, nach Boston zu fahren, aber er ließ sich nicht dazu bewegen.
    Die langen Wintermonate türmten sich vor Madeleine wie die gefrorenen Dünen über dem Pilgrim Lake. Tag für Tag saß sie an ihrem Schreibtisch und versuchte zu arbeiten. Sie aß Kekse und Mais-Chips, in der Hoffnung, das werde ihr die Energie zum Schreiben geben, aber das Junkfood machte sie lethargisch, und meist endete es mit einem Nickerchen. Dann kamen Tage, an denen sie dachte, sie könne es nicht mehr aushalten, an denen sie auf dem Bett lag und entschied, dass sie doch kein guter Mensch, sondern zu selbstsüchtig sei, um ihr Leben der Sorge für einen anderen zu widmen. Sie malte sich aus, sich von Leonard zu trennen, nach New York zu ziehen und einen athletischen Freund zu finden, der einfach gestrickt und glücklich war.
    Als es schließlich ganz schlimm wurde, knickte Madeleine ein und erzählte ihrer Mutter von ihren Schwierigkeiten. Phyllida hörte kommentarlos zu. Sie wusste, dass Madeleines Anruf einen bedeutsamen Strategiewechsel anzeigte, und deshalb, glücklich über den gewonnenen Boden, murmelte sie am anderen Ende der Leitung nur. Wenn Madeleine über ihre Zukunftspläne sprach, die Unis, an denen sie sich bewerben wollte, erörterte Phyllida die verschiedenen Optionen mit ihr, ohne von Leonard zu sprechen. Sie fragte nicht, was Leonard machen oder ob er gern nach Chicago oder New York ziehen würde. Sie erwähnte ihn einfach nicht. Und auch Madeleine erwähnte ihn seltener und seltener, im Bemühen herauszufinden, wie es sich anfühlte, wenn er keine Rolle mehr in ihrem Leben spielte. Manchmal kam ihr das vor wie Verrat an ihm, aber vorläufig waren es ja nur Worte.
    Und dann, Anfang Dezember, mit einer Magie, die den ersten Tagen ihres Zusammenseins ähnelte, begann sich alleszu verändern. Das erste Anzeichen dafür, dass Leonards Nebenwirkungen nachließen, war, dass seine Hände nicht mehr zitterten. Tagsüber rannte er nicht mehr alle zehn Minuten auf die Toilette und trank nicht mehr unentwegt Wasser. Seine Fußgelenke wirkten weniger geschwollen, und sein Atem roch besser.
    Bevor sie sichs versah, ging Leonard zum Training. Er machte Fitness, hob Gewichte, fuhr Standrad. Seine Stimmung heiterte sich auf. Er begann zu lächeln und zu scherzen. Er bewegte sich sogar schneller, als fühlten sich seine Glieder nicht mehr so schwer an.
    Die Erfahrung, Leonard dabei zu beobachten, wie es ihm besserging, glich der bei der Lektüre mancher schwieriger Bücher. Es war, als ackerte man den späten James oder die Seiten über Landreform in
Anna Karenina
durch, bis man plötzlich wieder an eine gute Stelle kam, die besser und besser wurde, und man in solche Begeisterung verfiel, dass man fast
dankbar
war für das vorangegangene langweilige Stück, weil es das spätere Vergnügen steigerte. Unversehens war Leonard wieder der Alte, extrovertiert, vital, charismatisch und spontan. An einem Freitagabend forderte er Madeleine auf, ihre schlechteste

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