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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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findet natürlich, dass er prima funktioniert. Wo er doch nie kocht, nicht mal Haferbrei.»
    «Du kochst auch nicht oft.»
    «Nun, ich versuche es zumindest. Oder ich hab’s versucht, als ihr klein wart.»
    «Du hast nie gekocht», sagte Madeleine, bemüht, gemein zu sein.
    Phyllida ließ sich nicht provozieren. «Ich glaube, einen Truthahn kriege ich noch hin», sagte sie. «Wenn du und Leonard kommen wollt, würden wir uns sehr freuen.»
    «Ich weiß nicht», sagte Madeleine.
    «Sei mir nicht böse, Maddy.»
    «Bin ich ja nicht. Ich muss jetzt auflegen. Bis dann.»
    Sie rief ihre Mutter eine Woche lang nicht an. Wann immer das Telefon zu einer Phyllida-typischen Zeit klingelte, nahm sie nicht ab. Am Montag darauf kam aber ein Brief von Phyllida. Darin war ein Artikel, betitelt: «Verheiratet mit der manischen Depression.»
     
    Ich lernte meinen Mann Bill drei Jahre nach dem Collegeabschluss in Ohio kennen. Mein erster Eindruck von ihm war, dass er groß, gut aussehend und ein bisschen schüchtern war.
    Bill und ich sind jetzt seit zwanzig Jahren verheiratet. In diesem Zeitraum wurde er dreimal in die Psychiatrie eingewiesen. Ganz abgesehen von den vielen, vielen Malen, die er sich selbst aufnehmen ließ.
    Wenn seine Krankheit unter Kontrolle ist, ist Bill derselbe souveräne, fürsorgliche Mann, in den ich mich verliebt und den ich geheiratet habe. Er ist ein großartiger Zahnarzt, bei seinen Patienten angesehen und beliebt. Natürlich war es schwierig für ihn, kontinuierlich eine Praxis zu führen, und noch schwerer, in einer Gemeinschaftspraxis mit anderen zusammenzuarbeiten. Aus diesem Grund mussten wir oft in andere Orte ziehen, wo nach Bills Meinung Bedarf für zahnmedizinische Versorgung bestand. Unsere Kinder sind auf fünf verschiedene Schulen gegangen, und das war schwer für sie.
    Es war nicht leicht für unsere Jungs Terry und Mike, mit einem Vater aufzuwachsen, der sie an einem Tag beim Baseball von der Seitenlinie aus anfeuerte und am nächsten nonstop Unsinn redete und sich bei Fremden danebenbenahm oder sich in unser Schlafzimmer einsperrte und sich tagelang weigerte herauszukommen.
    Ich weiß, dass die Scheidungsrate bei Menschen, die mit einem Manisch-Depressiven verheiratet sind, sehr hoch ist. Oftmals dachte ich, auch ich würde in diese Statistik eingehen. Aber meine Familie und mein Glaube an Gott gaben mir immer vor, noch einen Tag damit zu warten und dann noch einen Tag. Ich darf nicht vergessen, dass Bill eine Krankheit hat und dass der Mensch, der diese verrückten Sachen macht, eigentlich nicht er ist, sondern seine Krankheit, die das Heft in die Hand nimmt.
    Bill hatte mir bis zu unserer Heirat nichts von seinem Leiden gesagt. Seine früheren Beziehungen waren in die Brüche gegangen, wenn seine Freundinnen (und in einem Fall seine Verlobte) von seiner Krankheit erfuhren. Bill sagt, er wollte mich nicht auf dieselbe Weise verlieren. Auch von seiner Familie hatte mir keiner etwas gesagt, obwohl ich Bills Schwester recht nahe gekommen war. Aber das war 1959, und das Thema Geisteskrankheiten war ziemlich tabu.
    Ganz ehrlich, ich bin mir nicht sicher, ob es etwas ausgemacht hätte. Wir waren so jung, als wir uns kennenlernten, und so verliebt, dass ich denke, ich hätte darüber hinweggesehen, auch wenn Bill mir bei unserer ersten Verabredung (auf der Ohio State Fair, wenn Sie es genau wissen wollen) von seiner manischen Depression erzählt hätte. Natürlich wusste ich damals nicht, was ich jetzt über diese schreckliche Krankheit weiß, über die Belastungen, die sie Kindern und Familien aufbürden kann. Trotzdem, ich glaube, ich hätte Bill in jedem Fall geheiratet, auch wenn ich alles gewusst hätte – weil er «der Richtige» für mich war.
    Aber, wie ich bei unserer Hochzeit scherzhaft zu Bill sagte: «Von nun an hältst du besser nichts mehr vor mir geheim!»
     
    Der Artikel ging noch weiter, aber Madeleine hörte auf zu lesen. Und nicht nur das: Sie knüllte ihn zusammen. Um sicherzugehen, dass Leonard ihn nicht fand, steckte sie die zerknüllten Seiten in einen leeren Milchkarton und versenkte den Karton ganz unten im Abfalleimer.
    Ein Teil ihrer Wut hing mit Phyllidas Engstirnigkeit zusammen.Ein anderer mit der Angst, ihre Mutter könnte recht haben. Ein langer heißer Sommer mit Leonard in seiner Bude ohne Klimaanlage, gefolgt von zwei Monaten in ihrem Apartment in Pilgrim Lake, hatten Madeleine eine ausreichende Vorstellung davon gegeben, wie es sein würde, «mit der

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