Die Liebeshandlung
nervös. «Wir haben vier verschiedene Kellner, die an unserem Tisch bedienen», sagte er an ihrem dritten Abend in der Stadt beim Essen in einem Restaurant mit Seine-Blick. «Vier. Ich hab sie gezählt. Einer ist nur dafür da, die Brotkrümel wegzukehren.»
In ihrem passablen Lawrenceville-Schulfranzösisch übernahmMadeleine für sie beide die Bestellung. Der erste Gang war Vichyssoise.
Nachdem Leonard sie probiert hatte, sagte er: «Ich nehme an, die soll kalt sein.»
«Ja.»
Er nickte. «Kalte Suppe. Ein neues Konzept.»
Das Abendessen war genau so, wie sie sich ihre Flitterwochen wünschte. Leonard sah so gut aus in seinem Hochzeitsanzug. Auch sich selbst fand Madeleine schön, mit bloßen Armen und Schultern, das Haar dick im Nacken zusammengebunden. Körperlich waren beide so vollkommen, wie sie nicht vollkommener sein konnten. Ihr ganzes gemeinsames Leben erstreckte sich vor ihnen wie die Lichter entlang des Flusses. Madeleine stellte sich schon vor, wie sie diese Geschichte, die Geschichte «Als Daddy zum ersten Mal kalte Suppe aß», ihren Kindern erzählen würde. Der Wein war ihr zu Kopf gestiegen. Fast hätte sie es laut ausgesprochen. Sie war noch gar nicht für Kinder bereit! Trotzdem, da saß sie und dachte schon daran.
Die nächsten Tage verbrachten sie mit Sightseeing. Zu Madeleines Überraschung war Leonard weniger an Museen und Kirchen interessiert als an den Waren in den Schaufenstern. Auf den Champs-Élysées blieb er immer wieder stehen, um Dinge zu bewundern, für die er zuvor nie Interesse gezeigt hatte – Anzüge, Hemden, Manschettenknöpfe, Krawatten von Hermès. Als sie durch die engen Gassen des Marais schlenderten, blieb er vor einer Schneiderei stehen. In der leicht verstaubten Auslage stand eine kopflose Schaufensterpuppe, über der ein schwarzer Opernumhang hing. Leonard ging hinein, um ihn sich anzusehen.
«Es ist wirklich schön», sagte er, während er das Satinfutter begutachtete.
«Das ist ein
Cape
», sagte Madeleine.
«So was würde man in den Staaten nie finden», sagte Leonard.
Und er kaufte es und gab (ihrer Meinung nach) viel zu viel von seiner letzten monatlichen Pilgrim-Lake-Stipendiumsrate dafür aus. Der Schneider packte das Kleidungsstück ein und tat es in eine Schachtel, und schon trug Leonard es zur Tür hinaus. Das Cape besitzen zu wollen war fraglos ein seltsamer Wunsch, aber es war nicht das erste sonderbare Souvenir, das Leute sich in Paris gekauft hatten. Madeleine vergaß es schnell.
In derselben Nacht fegten Regenschauer über die Stadt. Gegen zwei Uhr morgens weckte sie Wasser, das von der Decke auf ihr Bett tropfte. Ein Anruf bei der Rezeption, und es erschien ein Portier mit einem Eimer, keiner Entschuldigung und dem vagen Versprechen, am Morgen werde ein
«ingénieur»
kommen. Indem sie den Eimer genau unter das Leck stellten und sich, Kopf an Füße, hinlegten, fanden sie eine Lage, in der sie trocken blieben, obwohl das Tropfen sie wach hielt.
«Das ist unser erstes eheliches Malheur», sagte Leonard leise im Dunkeln. «Wir kriegen es auf die Reihe. Wir werden damit fertig.»
Bis sie von Paris abreisten, schien alles in Ordnung. Von der Gare de Lyon nahmen sie den Nachtzug nach Marseille und hatten ein romantisches Schlafwagenabteil für sich, in dem keine Romanze möglich war. Marseille wirkte mit seinem Durcheinander, dem Eindruck von Gefahr und der gemischten Bevölkerung wie eine amerikanische Stadt, oder bloß weniger französisch. Es herrschte eine mediterran-arabische Atmosphäre; die Luft roch nach Fisch, Motorenöl und Eisenkraut. Frauen mit Kopftüchern riefen nach ihrer braunhäutigenKinderschar. In ihrer ersten Nacht, an einer Theke, irgendwann nach zwei Uhr morgens, freundete Leonard sich augenblicklich mit einer Gruppe Marokkaner in Fußballtrikots und Flohmarktjeans an. Madeleine war todmüde; sie wollte ins Hotel zurück, aber Leonard bestand darauf, noch einen
café cognac
zu trinken. Er hatte unterwegs Wörter aufgeschnappt, die er jetzt ab und zu fallenließ, als spräche er tatsächlich Französisch. Wenn er einen umgangssprachlichen Ausdruck lernte (zum Beispiel das Wort
branché
, das, auf Menschen bezogen, bedeutet, dass sie «angesagt» sind), teilte Leonard es Madeleine mit, als wäre
er
derjenige, der fließend Französisch sprach. Er korrigierte ihre Aussprache. Zunächst dachte sie, er mache Witze, doch das schien nicht der Fall zu sein.
Von Marseille aus fuhren sie die Küste entlang nach Osten. Als ein
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